[Leseeindruck] Kim de l'Horizon - "Blutbuch"

Kim de l'Horizon - Blutbuch
Gegenwartsliteratur
 

 Verlag: Dumont-Verlag
 ISBN-13: 978-3-832-18208-3
 Seiten: 336 Seiten
 Erschienen: 19.7.2022
 Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
 Umschlagabbildung: © ColoArt/Shutterstock

   
Zum Inhalt
„Die Erzählfigur in ›Blutbuch‹ identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. Aufgewachsen in einem Schweizer Vorort, lebt sie nun in Zürich, ist den engen Strukturen der Herkunft entkommen und fühlt sich im nonbinären Körper und in der eigenen Sexualität wohl. Doch dann erkrankt die Großmutter an Demenz, und das Ich beginnt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen: Warum sind da nur bruchstückhafte Erinnerungen an die eigene Kindheit? Wieso vermag sich die Großmutter kaum von ihrer früh verstorbenen Schwester abzugrenzen? Und was geschah mit der Großtante, die als junge Frau verschwand? Die Erzählfigur stemmt sich gegen die Schweigekultur der Mütter und forscht nach der nicht tradierten weiblichen Blutslinie.“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Ich hätte nicht zu dem Buch gegriffen, wäre es nicht in meinem Lesekreis ausgewählt worden, weil mich zum einen das Thema nicht angesprochen hat, und ich zum anderen das ganze Drumherum um die Verleihung des Buchpreises als sehr anstrengend empfunden habe – dabei habe ich Kim als sehr sympathisch erlebt. Ich spreche übrigens bewusst von „Kim“, da ich das Gefühl habe, diese nonbinäre Person mit der Sprache, die ich sonst verwende, nur falsch ansprechen zu können. Das Buch hat mich beeindruckt, aber gefallen hat es mir nicht. Und es wird schwer, in Worte zu fassen, was ich meine.

Zuerst sollte man wissen, dass es kein handlungsorientiertes Buch ist – einen wirklichen Plot gibt es nicht; vielmehr spielt Kim mit der Sprache und den unterschiedlichen Möglichkeiten, etwas zu erzählen. In den ersten beiden Teilen geht es um seine Erinnerungen der Kindheit – hier ist die Sprache noch einfach, eher kindlich-naiv, und doch spürt man schon einen Schmerz und eine Verzweiflung in Kim. Teil 3 ist nur ein kurzer, der für mich in seinem aggressiven Schreibstil und (etwas gewollten) Jugendsprache anstrengend zu lesen war. In Teil 4 geht es vor allem um die Aufarbeitung der Familiengeschichte – dies anhand von Stammbäumen der weiblichen Linie, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen und ein buntes Potpourri von mittelalterlichen Lebensweisen, Alltagsgeschichten und solche um  Kräuterfrauen und Hexen bietet. Teil 5 ist dann in englischer Sprache verfasst, weil Kim seine wahren Gedanken und Gefühle nicht weiß, in Hochdeutsch oder Schwyzerdütsch zu formulieren (eine deutsche Übersetzung ist aber angehangen). 

Stilistisch ist das Buch nicht nur herausfordernd, sondern auch ideenreich, modern und besonders. Es wird gegendert, es gibt im Text kein „man“ sondern nur „mensch“, umso mehr durchaus ausführliche Einblicke in des Erzählers Sexualpraktiken, eine Abhandlung zum Baum „Blutbuche“, zum Teil aber auch viele schöne und interessante Bilder und Metaphern, und das alles in einem Sprachgewirr aus Deutsch, Schwyzerdütsch, Denglisch und Englisch. Manche Passagen haben mir wirklich gut gefallen, manche dagegen gar nicht. Was sich aber durch das ganze Buch zieht, ist die unglaubliche Wut des Erzählenden – manchmal ist sie geradezu spürbar in einer unangenehm aggressiven Art, manchmal ist sie aber auch leise und eher einer Angst gleichend – auf jeden Fall aber steckt dieses Buch voller Gefühl.

Ich habe großen Respekt vor diesem Werk, das sich durch seine Andersartigkeit vom klassischen Roman abgrenzt. Gefehlt hat mir aber ein Plot, eine Handlung, denn letztlich ist dieses Buch eine Aneinanderreihung von Erinnerungen und Erlebnissen, notierten Gedanken und Gefühlen. Gepackt hätte mich das als interessanter Plot, so aber habe ich beim Lesen zwar eine Menge Energie gespürt, war aber nicht wirklich gefesselt von dem, was ich gelesen habe. 

Ich glaube, jeder muss sich selber einen Eindruck von diesem Buch machen – ich bin sicher, dass sich die Meinungen hierzu teilen und es sowohl Menschen gibt, die es feiern, aber auch solche, die sich dafür nicht erwärmen können. 

4 Kommentare:

  1. Schönen guten Morgen!

    Ich hab natürlich von dem Buch gehört, es war ja eine zeitlang sehr präsent, aber mich hat es auch nie so wirklich gereizt.
    So wie du es beschreibst macht es mich auch nicht so wirklich neugierig und der Sprachstil klingt für mich irgendwie sehr anstrengend ^^

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Ich bin irgendwie auch froh, es gelesen zu haben, weil es so experimentell und besonders ist - aber ein bisschen Unterhaltung möchte ich beim Lesen schon auch haben. Und die hat mir hier gefehlt.

      LG Sabine

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    2. Ja, so eine Abwechslung wirkt immer sehr erfrischend - auch wenn es am Ende nicht so das ist, was man erwartet hat, oder einen auch enttäuscht... mich hat es halt von Anfang an nicht gereizt und wie du es beschreibst, hab ich leider erst recht keine Lust drauf ;)
      Ich kann auch gar nicht sagen warum - bei manchen Büchern springt der "Ich will es" Knopf an, bei anderen gar nicht. Obwohl ich die Bücher ja nicht kenne...

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    3. Ja - das kenne ich auch. Und wenn der Knopf beiBüchern umspringt, von denen man es gar nicht gedacht hätte und es dann auch noch gefällt - ein großartiges Gefühl!

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