[Rezension] Milena Michiko Flašar – "Oben Erde, unten Himmel"

Milena Michiko Flašar – Oben Erde, unten Himmel
Gegenwartsliteratur
 

 Verlag: Speak Low      
 ISBN-13: 978-3-948-67482-3
 Dauer: 490 Minuten
 Erschienen: 20.2.2023
 Sprecherin: Eva Meckbach

   
Zum Inhalt
„Herr Ono ist unbemerkt verstorben. Allein. Es gibt viele wie ihn, immer mehr. Erst wenn es wärmer wird, rufen die Nachbarn die Polizei. Und dann Herrn Sakai mit dem Putztrupp, zu dem Suzu nun gehört. Sie sind spezialisiert auf solche Kodokushi-Fälle. »Fräulein Suzu«, wie der Chef sie nennt, fügt sich widerstrebend in die neuen Aufgaben. Es braucht dafür viel Geduld, Ehrfurcht und Sorgfalt, außerdem einen robusten Magen. Die Städte wachsen, zugleich entfernt man sich voneinander, und häufig verschwimmt die Grenze zwischen Desinteresse und Diskretion. Suzu lernt schnell. Und sie lernt schnell Menschen kennen. Tote wie Lebendige, mit ganz unterschiedlichen Daseinswegen. Sie sieht Fassaden bröckeln und ihre eigene porös werden. Und obwohl ihr Goldhamster sich neuerdings vor ihr versteckt, ist sie mit einem Mal viel weniger allein.“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Suzu lebt in einer größeren japanischen Stadt. Sie führt ein einsames Leben, jobbt in einem Restaurant, hat ihr Studium abgebrochen und auch den Kontakt zu ihrem Liebhaber. Als sie ihren Job verliert, wird sie aufmerksam auf eine ungewöhnliche Stellenanzeige: Es werden Mitarbeiter gesucht, die den Ort reinigen, an dem Menschen einsam gestorben sind und erst nach einiger Zeit gefunden werden. Der Chef Herr Sakai ist ein beeindruckender Mensch und Suzu nimmt den Job an – und lernt beim Reinigen der Wohnungen der einsam Verstorbenen, den sogenannten „Kodokusha“, auch eine Menge über sich selber. 
Der Plot ist sehr ungewöhnlich und hat mich wahrscheinlich gerade deshalb auch angesprochen. Die Autorin hat aus dem bizarren Thema aber eine ansprechende, leise, berührende und manchmal auch komische Geschichte gemacht, die ich nicht nur gerne gehört habe, sondern die mich auch sehr berührt hat. 
Suzu ist Mitte 20. Sie streift ein wenig unbedarft durchs Leben und hat ihren Platz noch nicht gefunden. Sie weiß, dass sie mit Menschen nicht so recht kann, zumindest nicht mit denen, die ihr bisher begegnet sind. Der Kontakt zu den Eltern ist fragil, Freunde hat sie kaum, den Kontakt zu ihrem Liebhaber hat sie abgebrochen. Das Buch ist als Ich-Erzählung aus Suzus Sicht geschrieben – und so erfährt man am Anfang viel über ihr einsames Leben in Japan, ihre Gedanken und Gefühle. Ich konnte mich gut in sie hineinversetzen und manches auch nachempfinden; vor allem aber mochte ich Suzus direkte und ehrliche Art. 

Dass sie nun diesen ungewöhnlichen Job annimmt, die Wohnungen von einsam verstorbenen Menschen zu reinigen, ist fast schon die berühmte „Faust aufs Auge“. Dass sie dann bei ihren Kollegen aber genau das findet, das sie bisher gesucht hat, konnte sie sicher nicht erahnen. 

Die Autorin hat das Thema Einsamkeit und Vereinsamung auf eine unterhaltsame Weise behandelt. Ganz behutsam und voller Respekt wird diese Geschichte erzählt – Respekt vor den Verstorbenen, aber auch Respekt vor den Gefühlen anderer. Für mich hat in diesem Zusammenhang der Chef Herr Sakai eine wichtige Rolle gespielt – er ist derjenige, der seinen Mitarbeitern genau das beibringt – trotz der widrigen Umstände, unter denen sie arbeiten (man mag sich gar nicht vorstellen, wie eine Wohnung aussieht und riecht, wenn dort ein vor Wochen Verstorbener gelegen hat…), den Menschen zu ehren und ihm Respekt zu zollen. Angefangen damit, dass sie mit ihm reden, wenn sie die Wohnung betreten. Herr Sakai beweist hier viel Fingerspitzengefühl und findet immer die richtigen Worte – und macht so aus dem „Reinigungstrupp“ eine verschworene und respektvolle Gruppe ganz unterschiedlicher Personen. 

Schön ist die Entwicklung Suzus mitzuerleben – denn durch ihre Arbeit findet sie Menschen, denen sie sich verbunden fühlt und wird so zu einem sozialen Wesen. 

Der Schreibstil ist leicht, einfach zu lesen und dadurch, dass Suzu erzählt, sehr nahbar. Manchmal ist er auch ein wenig komisch oder ironisch, fällt dabei aber nie ins respektlose oder klamaukige ab. Suzu verwendet manchmal Bilder, die zum Schmunzeln sind, die aber genau das ausdrücken, was sie sagen will. Und so wird der Stil sehr besonders und auch herzerwärmend. 

Die Sprecherin Eva Meckbach hat all diese Gefühle wunderbar transportiert und so Suzu nicht nur eine Stimme, sondern auch ein Gesicht gegeben. Sie ist eine sehr passende Wahl und hat das Hörbuch zu etwas besonderem gemacht. 

Insgesamt also eine Empfehlung – und ich schaue nun, was die japanisch-österreichische Autorin noch für weitere Bücher geschrieben hat. 

Mein Fazit
Ein ungewöhnlicher Plot, bei dem Vereinsamung und Sterben in Einsamkeit im Mittelpunkt stehen – das Ganze aber leicht und unterhaltsam umgesetzt. Von mir eine große Empfehlung. 


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