[Rezension] Mechtild Borrmann - "Lebensbande"

Mechtild Borrmann - Lebensbande
Gegenwartsliteratur
 

 Verlag: Argon Hörbuch
 ISBN-13: 978-3-839-82203-6
 Dauer: 453 Minuten
 Erschienen: 19.11.2025
 Sprecher: Vera Teltz und Johanna Zehendner


Zum Inhalt
„Vom Zweiten Weltkrieg bis zum Mauerfall verbinden die Fäden des Schicksals Lene, Nora und Lieselotte: Obwohl sie sich in einer Zeit der Angst und des Terrors als Fremde begegnen, werden sie zu Freundinnen, die einander Halt geben und große Risiken auf sich nehmen. Krankenschwester Nora tut alles, um Lene zu helfen, das Leben ihres kleinen Sohnes Leo zu retten. Denn wegen eines leichten Handicaps gilt Leo als »Reichsausschusskind«. 1942 lernt Nora Lieselotte in Danzig kennen. Drei Jahre später werden die Frauen in einen Gulag der Sowjetunion verschleppt – als Teil der 900.000 Arbeitskräfte, die Stalin unter anderem im Rahmen der Reparationszahlungen zugesichert worden waren. Als Adenauer 1949 beginnt, diese Deutschen zurückzukaufen, gibt Lieselotte alles auf, was sie noch hat, um Nora die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen. Viele Jahre später, kurz nach dem Mauerfall, erhält diese einen verstörenden Brief, der sie schlagartig in die Vergangenheit zurückkatapultiert ...“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Ich habe schon einige Bücher von Mechtild Borrmann gelesen oder gehört, hatte aber irgendwie beiseitegeschoben, wie gut die Autorin schreiben und wie sehr ich in ihren Geschichten eintauchen kann – so auch in diese.

Die Geschichte beginnt in den dunklen Zeiten des Zweiten Weltkriegs und spannt einen Bogen bis kurz nach dem Mauerfall. Sie verwebt das Schicksal dreier Frauen – Lene, Nora und Lieselotte –, die sich unter extremen Bedingungen kennenlernen und ein tiefes Band der Freundschaft knüpfen. Krankenschwester Nora setzt ihr eigenes Leben aufs Spiel, um Lene beizustehen, deren Sohn Leo in den Augen des Regimes als „Reichsausschusskind“ gilt. Jahre später werden Nora und Lieselotte in einen sowjetischen Gulag verschleppt. Als Nora schließlich dank Lieselottes Aufopferung die Rückkehr in die Heimat gelingt, scheint die Geschichte beendet – bis ein verstörender Brief Jahrzehnte später die Wunden der Vergangenheit wieder aufreißt.

Puh – das war eine sehr intensive und berührende Geschichte. Sie gehört für mich zu den Werken, die mit einer ungeheuren Eindringlichkeit flüstern, und mich so sofort gefesselt haben. Die Autorin hat eine Atmosphäre geschaffen, die gleichzeitig still und gespannt ist, bei der aber viel Ungesagtes im Raum steht, dessen ich mich nicht entziehen konnte – und nach und nach offenbart sich alles behutsam und vorsichtig. Dieses Gefühl einer leisen, doch konstanten Bedrohung hat mich von der ersten Minute an abgeholt und nicht mehr losgelassen. Ich war beeindruckt von der Schilderung dessen, was Menschen alles aushalten können und müssen.

Die Charakterzeichnung ist sehr gelungen und feinfühlig. Lene, Nora und Lieselotte sind sehr unterschiedliche Frauen, doch jede kämpft auf ihre Weise, insbesondere gegen die Gräuel des Regimes. Sie waren authentisch gezeichnet, so dass ich mich ihnen sehr nah fühlte, ihrer Stärke und ihrem Mut, vielleicht auch, weil ihre Geschichten auf historischen Dokumenten und Erinnerungen basieren. Ihre Aktionen sind nicht heldenhaft im klassischen Sinne, sondern zeugen von einer menschlichen und sehr empathischen Überlebensstrategie, die mich tief bewegt hat. Ihre Lebensbande ist ein Symbol für Widerstand und für die Fähigkeit, in Zeiten größter Not Menschlichkeit zu bewahren.

Der Schreibstil ist klar, konzentriert und eher unaufgeregt. Er ist niemals überladen, sondern weiß mit wenigen, präzisen Sätzen eine Stimmung zu erzeugen, die ich während des Hörens fast körperlich gespürt habe. Alles wirkt bewusst gesetzt und wirkt niemals künstlich oder erzwungen. Die Autorin beweist ein großes Gespür dafür, wie sich die Folgen von Schuld und Schweigen über Generationen hinweg auswirken. Der Aufbau des Romans, der Zeitebenen und Perspektiven miteinander verwebt, ist sehr gut gewählt: Die verschiedenen Sichtweisen waren für mich wie kleine Fenster, die sich nacheinander öffnen, und das Gefühl entstehen lassen, aus verschiedenen Blickwinkeln auf ein und dasselbe komplexe Geschehen zu blicken. Dies hat die Spannung auf eine besondere, langsame Art aufgebaut, die mich nie aus dem Erzählfluss gerissen hat, sondern die die Geschichte tastend und tiefgründig entfaltet. Stück für Stück bin ich in ein komplexes Geflecht eingetaucht, und erst durch diese unterschiedlichen Einblicke wird am Ende alles als Ganzes sichtbar.

Ergänzend dazu passen die Stimmen der Sprecherinnen Vera Teltz und Johanna Zehendner ausgesprochen gut zu dem empathischen und zurückhaltenden Stil der Autorin.

Mein Fazit
Ein intensives, feinsinniges Werk über die überdauernde Kraft der Freundschaft vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Mit leisen Tönen wird eine maximale Tiefe und emotionale Wucht erzielt. Es ist ein Buch, das nicht mit Superlativen um sich wirft, sondern das durch seine Authentizität und erzählerische Klarheit besticht. Langsam und beinahe tastend werden Geheimnisse enthüllt, so dass sich am Ende ein schlüssiges „Großes Ganzes“ ergibt – sehr zu empfehlen!


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