[Rezension] Anette Selg - "Das Jahr, bevor ich verschwand"

Anette Selg - Das Jahr, bevor ich verschwand
Gegenwartsliteratur
 

 ISBN-13: 978-3-691-28187-3
 Dauer: 311 Minuten
 Erschienen: 25.12.2025
 Sprecherin: Katja Sesterhenn

   
Zum Inhalt
„Kurz vor Jahresende liegt der Bewilligungsbrief des Senats auf ihrem Küchentisch: In einem Jahr hat sie ein Jahr frei. Reisen will sie, allein – nach Vietnam vielleicht? Weg von ihrem Job als Lehrerin, den sie liebt. Raus aus ihrem warmen Berliner Nest, wo auch Darling und Kim sind, ohne die sie sich ihr Leben nicht vorstellen kann. Gesagt hat sie Mann und Kind von dem Plan noch nichts.“ (Quelle: Schöffling-Verlag)   
Meine Meinung
Im Mittelpunkt des Romans steht eine namenlose Ich-Erzählerin, die sich in ihrem Alltag überlastet fühlt und daher plant, als Ausweg ein Sabbatical anzutreten – eine Entscheidung, die sie ohne Rücksprache mit ihrem Ehemann, den sie nur „Darling“ nennt, trifft. Während sie ihre unkonventionelle, offene Ehe durch eigene Affären strapaziert, gleichzeitig aber keinen Raum für die Bedürfnisse ihres Mannes lässt, bricht ihr Lebensentwurf schließlich in sich zusammen: Darling verliebt sich neu und verlässt sie, noch bevor ihr ersehntes Jahr der Freiheit überhaupt begonnen hat.

So richtig warm geworden bin ich mit der Geschichte leider nicht - zu Beginn fand ich die Zeitsprünge zwischen der fernen Vergangenheit, der jüngeren Zeitgeschichte und der Gegenwart recht verwirrend, was mir den Einstieg in die Erzählung schwer gemacht hat – das hat sich zum Glück im Laufe des Hörbuchs gelegt. Nach und nach konnte ich mich dann gut in die verschiedenen Zeitebenen einfinden und mich dann auch auf einen ganz eigenartigen Sog der Geschichte einlassen. Die Protagonistin kreist extrem um sich selbst und legt bei ihren Mitmenschen völlig andere Maßstäbe an als an sich selbst. Und so fiel es mir sehr schwer, eine echte Beziehung zu ihr aufzubauen, da mir ihr Denken und Handeln in vielen Momenten unbegreiflich blieb und sie mir als Charakter fremd war.

Der Schreibstil der Autorin hat mir durch seine angenehme, atmosphärische Dichte gefallen, wobei die gesamte Handlung von einer tiefen Melancholie durchzogen ist. Ich muss gestehen, dass ich echte Freude oder gar eine spürbare Vorfreude auf die kommende Auszeit schmerzlich vermisst habe – zwar plant die Protagonistin ein wenig ihr Sabbatical, aber es bleibt vieles vage und unspezifisch, immer stehen nur die Probleme und Hindernisse - ausgesprochene und verschwiegene -  im Vordergrund; Momente der Freude oder auch von erlebtem Glück blitzen nur sehr selten auf. Vielmehr dominiert die sich oft im Kreis drehende Reflexion der eigenen Unzufriedenheit. Erst gegen Ende des Buches ändert sich das ein bisschen, dennoch bleibt bei mir das Gefühl, dass alles einfach immer nur schwierig ist. 

Katja Sesterhenn als Sprecherin war sehr gut gewählt, da sie mit ihrer Stimme die schwierige Persönlichkeit der Erzählerin hervorragend unterstreicht. Trotz meiner Distanz zur Hauptfigur war ich gefesselt von der Frage, ob dieses fragile Konstrukt aus Egoismus und Sehnsucht letztlich gewinnt oder scheitern wird.

Mein Fazit 
Eine melancholische und sprachlich gewählte Auseinandersetzung mit einer Frau, die an ihrem eigenen Egoismus verzweifelt. Obwohl mir die Protagonistin in ihrer kreisenden Unzufriedenheit fremd blieb, hat mich die atmosphärische Umsetzung gefesselt. Ein forderndes Hörbuch, das vor allem durch die gut gewählte Sprecherin an Tiefe gewinnt.

WERBUNG: Vielen Dank an Netgalley und den Hörbuch-München Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. 

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