Thomas Melle - Haus zur Sonne
Gegenwartsliteratur
Verlag: Argon Hörbuch
ISBN-13: 978-3-732-48433-1
Dauer: 591 Minuten
Erschienen: 25.8.2025
Sprecher: Jens Harzer
Zum Inhalt
„Wie viel Selbstbestimmung ist möglich, wenn das Leben von einer psychischen Krankheit fremdgesteuert ist? Wonach sehnt sich einer, der nichts mehr zu verlieren hat? Und wie könnte es aussehen, das letzte Glück? Willkommen im »Haus zur Sonne«, einer Institution, die zugleich Wunscherfüllungsmaschine wie Abschaffungsapparat ist. Lebensmüde und todkranke Menschen liefern sich in diese vom Staat finanzierte Klinik ein, um jeden nur erdenklichen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen und dann – ohne großes Aufsehen – aus dem Leben zu scheiden. Aber will, wer nicht mehr leben will, wirklich sterben?“ (Quelle: Verlagsseite)
Meine Meinung
Ein beeindruckendes Werk, insbesondere weil es ein sensibles Thema behandelt und autofiktional ist – mir hat es sehr gut gefallen!
Mehr als zehn Jahre hat das Gleichgewicht gehalten, dann rutscht der Ich-Erzähler erneut in eine akute Phase seiner bipolaren Erkrankung. Er begibt sich in eine Institution namens „Haus zur Sonne“, einem Ort, an dem suizidale Menschen ein letztes Mal das Schöne erleben sollen, bevor sie sich endgültig vom Leben verabschieden. Dieses Erleben wird durch hochentwickelte Simulationen erzeugt – künstlich, aber dennoch intensiv. Und natürlich stellt sich dann die Frage, ob man wirklich noch sterben will, wenn man das Schöne so intensiv spüren durfte. Oder ist der Wunsch, aus dem Leben zu gehen, eher der Wunsch nach einem anderen Leben?
Das Thema ist ebenso brisant wie sensibel, und Thomas Melle nähert sich ihm mit großer Ernsthaftigkeit und Tiefe. Man könnte das Buch als zweiten Teil (nach „Die Welt im Rücken“) bezeichnen, man muss dieses frühere Werk aber nicht gelesen oder gehört haben, um „Haus zur Sonne“ zu verstehen. Sehr gut konnte ich mich in den Ich-Erzähler hineinfühlen - seine Gedanken, Zweifel, Hoffnungen und Rückschläge erscheinen nachvollziehbar, ehrlich und kommen mit einer stillen Wucht daher. Die Gratwanderung zwischen Krankheit und Klarheit, zwischen dem Wunsch zu leben und dem Wunsch zu verschwinden, wird eindringlich erfahrbar. Man spürt seine Verzweiflung, seine Einsamkeit, das Gefühl, alles zu tun, was die Medizin verlangt – und doch von der Krankheit besiegt zu werden. Die Szenen in den Simulationen wirken sehr realistisch, stehen dann aber in starkem Kontrast zum Aufwachen in der Realität, die dann nüchtern und schmerzhaft ist.
Der Schreibstil hat mir sehr zugesagt. Er ist angenehm zu hören, sprachlich leicht gehoben und durchzogen von leisen philosophischen Reflexionen, ohne je abgehoben oder unverständlich zu wirken. Gerade diese Balance macht das Hörbuch so zugänglich. Der Sprecher Jens Harzer gibt dem Text Tiefe und Glaubwürdigkeit. Mit seiner eindringlichen, mal fragilen, mal kraftvollen Stimme, transportiert er die emotionale Bandbreite der Erzählung sehr überzeugend. Er hat der Figur ein Gesicht gegeben - so eng ist Jens Harzers Stimme mit dem Ich-Erzähler verwoben.
Das Ende hat mich überrascht. Es bleibt offen und bietet Raum für eigene Gedanken. Und so öffnet dieses Hörbuch Räume ohne belehrend oder pathetisch zu sein.
Mein Fazit
Ein eindringliches, vielschichtiges Hörbuch, das mich thematisch und erzählerisch überzeugt hat. Die Verbindung von Krankheit, Lebensmüdigkeit und künstlichem Trost wirft viele Fragen auf, die nachhallen. Die eindringliche feinfühlige Sprache schafft viele verschiedene Stimmungen, die sich durch den Sprecher Jens Harzer nochmal intensiver anfühlen. Ein Werk, das mich zum Nachdenken gebracht hat – über Krankheit, über Hoffnung und über das, was das Leben trotz allem lebenswert macht.
Das Buch ist nominiert für den Deutschen Buchpreis 2025.
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