[HOMER] Interview mit Sabine Trinkaus


Interview mit Sabine Trinkaus

Jedes Jahr kürt der Verein HOMER Historische Literatur die besten historischen Romane. Aus der Fülle der in 2024 erschienenen Werke hat die HOMER Jury nach fleißiger Lektüre die ihrer Meinung nach zehn Besten herausgefiltert - und Sabine Trinkaus ist mit ihrer "Henriette - Ärztin gegen alle Widerstände" auch dabei und steht auf der Shortlist! 

Das Buch hatte ich am 25.08.2025 hier auf meinem Blog vorgestellt, heute lernst Du die Autorin ein bisschen näher kennen. 
 
Vielen Dank an Dich, Sabine, dass Du Dich meinen Fragen gestellt hast!



 © privat

Zum Aufwärmen habe ich erst mal ein paar kurze Entweder-Oder-Fragen an dich:
Hund oder Katze?   ~~  Hund
Schokolade oder Gummibärchen?   ~~  Gibt es auch Chips?
Tee oder Kaffee?   ~~  Kaffee
Popmusik oder Klassik?   ~~  Sowohl als auch – je nach Stimmung und Anlass
Auto oder Fahrrad?   ~~  Fahrrad
Sommer oder Winter?   ~~  Sommer
Berge oder Meer?   ~~  Meer
Früh- oder Spätaufsteher?   ~~  Spätaufsteher
Chaotisch oder ordentlich?   ~~  Nicht uneingeschränkt, aber überwiegend: ordentlich
Kochen oder Essen bestellen?   ~~  Kochen
Kino oder Theater?   ~~  Theater
Oper oder Musical?   ~~  Oper
Haus oder Wohnung?   ~~  Haus
Logik oder Bauchgefühl?   ~~  Meist das, was mein Bauchgefühl für Logik hält 😊

 

Aber natürlich möchte ich noch mehr über dich, das Schreiben und deinen ersten historischen  Roman „Henriette – Ärztin gegen alle Widerstände“, das auf der Shortlist für den Goldenen Homer steht, erfahren. 

Bislang sind von dir vor allem Krimis und Psychothriller erschienen – wie kam es dazu, dass du dich in das historische Genre begeben hast? Lag es am Genre oder an der historischen Persönlichkeit Henriette von Hirschfeldt-Tiburtius oder vielleicht auch an beidem?

Sabine: Ich habe Henriette vor vielen Jahren kennengelernt. Vorgestellt hat sie mir meine damalige Schwägerin Cécile Mack, die ihre Promotion in Zahnmedizin über sie verfasst hat. Sie war (vollkommen zu Recht) der Meinung, dass man aus dieser Lebensgeschichte unbedingt einen Roman machen sollte – und hat mir Henriette quasi geschenkt. Mich hat die Geschichte auch sofort begeistert. Ich hatte allerdings großen Respekt vor dem Genre. Historische Romane habe ich zwar immer gern gelesen, selbst einen zu schreiben habe ich mir allerdings nicht zugetraut. Und natürlich waren da andere Projekte, die erst einmal zu Ende geführt werden mussten. Henriette war somit erst einmal vom Tisch. Aus meinem Kopf ist sie allerdings nicht verschwunden, mit der Zeit wurde aus ihr langsam aber sicher ein Herzensprojekt – das ich irgendwann angehen wollte, wenn ich mal Zeit und Ruhe habe. Dass es dann ausgerechnet eine Pandemie war, die mir wenigstens ersteres beschert hat, hätte ich mir natürlich nicht träumen lassen. 
Aber es war tatsächlich ein guter Moment, etwas ganz Neues auszuprobieren, dazu noch etwas, das mir ein bisschen Eskapismus geschenkt hat, weil ich mich gedanklich in eine ganz andere Zeit und Welt begeben konnte.

Da schließt sich natürlich auch direkt die nächste Frage an – war es „nur“ ein Ausflug in die Vergangenheit oder kann man sich auf weitere Bücher von dir im historischen Setting freuen?
Sabine: Gedacht war es als Ausflug. Aber wie es mit schönen Ausflügen nun einmal so ist – man möchte doch gerne noch einmal dort hin, wo es einem gut gefallen hat. Gerade die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eine wirklich spannende Zeit, vor allem in Hinsicht auf die Frauenbewegung. Im Zuge meiner Recherchen habe ich viele Persönlichkeiten und Geschichten entdeckt, mit denen ich mich gerne weiter befassen möchte. Darum ist der nächste Ausflug auf jeden Fall geplant – und ich glaube, ich bin schon unterwegs. 
Sabine: Oooh - da bin ich aber gespannt, wer dann im Mittelpunkt der Geschichte stehen wird! 

Ich stelle mir vor, wenn man über eine historische Persönlichkeit schreibt, wird man sich natürlich mit Biographien und Büchern über diese Person informieren. Jetzt ist dies ja dein erster Roman, der in der Vergangenheit spielt, im 19. Jahrhundert – wie hast du dich daneben auf die Epoche eingestellt? 
Sabine: Eine wichtige Motivation, die Geschichte der historischen Persönlichkeit Henriette Hirschfeld-Tiburtius zu einen Roman zu machen, war, dass sie in Vergessenheit zu geraten drohte. Von Biographien und Sachbüchern über sie konnte darum leider keine Rede sein – sieht man von besagter Promotion ab. Die war natürlich meine erste und wichtigste Quelle – Cécile hat Henriettes Leben akribisch recherchiert. Ohne diese Vorarbeit wäre ich verloren gewesen. 
Allerdings dachte ich anfangs noch ganz blauäugig, dass damit die Recherche im Grunde erledigt ist. Das erwies sich natürlich als Anfängerinnen-Irrtum. Denn natürlich ist auch viel Recherche zum Setting einer Geschichte nötig – die Dinge, die man beim zeitgenössischen Schreiben einfach weiß. Wo und wie wohnen die Menschen, die kleiden sie sich? Was wird gegessen, wo wird eingekauft? Was kosten die Dinge, was verdienen die Leute? Wie kommt man von einem Ort zum anderen, wie lange braucht ein Brief? Wie ist die gesellschaftliche und politische Stimmung, worüber wird gestritten, worüber wird getratscht, worüber wird gelacht? Die Liste lässt sich endlos fortsetzen – und hat mich erst einmal ziemlich eingeschüchtert, weil mir bewusst wurde, wie wenig ich letztlich weiß. 
Natürlich habe ich viele Biographien von Zeitgenossinnen und Zeitgenossen Henriettes gelesen. Die waren sehr interessant, aber leider befassen sie sich ja nur selten mit all den Profanitäten. Gerettet haben mich da Romane und Erzählungen, die in dieser Zeit geschrieben wurden. Besonders in der so genannten Trivialliteratur habe ich nicht nur viele Details zum alltäglichen Leben entdeckt, sondern darüber hinaus auch ein Gefühl für die Stimmung bekommen. Es hat viel Spaß gemacht, da einzutauchen. 
Eine Kollegin auch dem historischen Bereich hat mir zudem den Tipp gegeben, mir Reiseführer aus der Epoche zu besorgen. Auch die waren sehr hilfreich und sehr, sehr interessant. Letztlich hatte ich dann nach den langen Lockdown-Phasen auch noch das Glück, ein paar Wochen in Berlin verbringen zu können und dort in Archiven, Bibliotheken und Museen zu recherchieren.        

Was hat dich an Henriette fasziniert? Dass sie als erste Frau in der Zahnheilkunde gearbeitet und das Fach vorher auch studiert hat? Oder ist es die Zahnheilkunde, die dich fasziniert und über deren Geschichte du bei Henriette gelandet bist? 
Sabine: Meine Begeisterung für Zahnheilkunde war … nun, sagen wir: überschaubar – obwohl die Recherchen in diesem Bereich den Respekt und die Dankbarkeit für die moderne Zahnmedizin auf jeden Fall sehr gesteigert haben. 
Interessiert hat mich aber in erster Linie die Person Henriette, an der zunächst ja keine Revolutionärin verloren gegangen ist. Sie hat sich in das gefügt, was andere für sie vorgesehen haben. Erst nachdem das Schicksal ihr übel mitspielt und ihr Leben in Trümmern liegt, verlässt sie das bis dahin fremdbestimmte Leben und macht sich auf ihren bemerkenswerten Weg, von dem sie anfangs selbst nicht weiß, wohin er sie führen wird. 
An diesem Punkt zeigen sich die beiden Charakterzüge, die mir sehr imponiert haben – ihre Beharrlichkeit und ihr Mut. Sie weigert sich, sich weiterhin zu fügen. Sie nimmt sich das, was man ihr zuvor nicht zugestehen wollte – sie lernt, sie bildet sich fort. Sie findet sich nicht länger damit ab, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind, sondern definiert sich selbst und ein ganz eigenes Ziel, das sie allen Rückschlägen und Entmutigungen zum Trotz verfolgt und letztlich erreicht.

Welche Herausforderungen gab es, eine historische Figur wie Henriette zum Leben zu erwecken – vor allem für heutige Leserinnen und Leser?
Sabine: Ich habe mich anfangs sehr schwer damit getan, über eine reale historische Person zu schreiben. Trotz all der biographischen Fakten, die bekannt waren, musste ich Henriette ja quasi übernehmen. Und natürlich ist meine Henriette letztlich zwar nicht erfunden, aber erdacht. Das hat sich zunächst immer wieder übergriffig angefühlt, und es hat eine Weile gedauert, bis ich meinen Frieden damit gemacht habe. An diesem Punkt war sie für mich dann allerdings schon sehr vertraut und lebendig. 
Eine andere Herausforderung war dann, Henriette (und alle anderen Figuren) nicht klüger und visionärer zu machen als sie sein konnten – aber eben auch nicht dümmer und verzagter. Das ist nicht immer leicht, weil ich als Schreibende ja mehr weiß, als meine Protagonistinnen wissen können. Henriette hat an sich geglaubt, sie konnte aber lange nicht wissen, dass sie ihr Ziel erreichen wird und mehr Erfolg haben, als sie sich selbst erträumt hat. Und so sehr sie sich gefreut hätte, dass sich heutzutage niemand mehr über studierende Frauen oder einen „weiblichen Zahnarzt“ wundert – wirklich vorstellen konnte sie sich das vermutlich nicht. Es war mir wichtig, das abzubilden. 
Geholfen hat allerdings das, was ich an Henriettes Geschichte zeitlos finde. Sie wünscht sich ein freies und selbstbestimmtes Leben. Diesen Wunsch teilen Menschen über alle Zeiten und Gesellschaften – auch wenn sich die Rahmenbedingungen unterscheiden. 

Was war die schwierigste Szene im Buch für dich – emotional oder handwerklich?
Sabine: Das war die Midpoint-Szene – der Moment, in dem sich Henriettes Leben auf grundlegende Art verändert. Nach langen Jahren in einer unglücklichen und missbräuchlichen Ehe ist sie sozial, gesellschaftlich und psychisch am Ende. Von ihrer Tatkraft ist kaum noch etwas übrig. Sie muss sich das eingestehen, was sie selbst als Scheitern empfindet. Dieser Moment größter Schwäche ist dabei aber auch der Moment der größten Stärke, weil sie es schafft, zu gehen und sich trotz Angst, Ungewissheit und ohne echte Perspektive auf den Weg macht. Es hat lange gedauert, bis ich mit dieser Szene endlich zufrieden war.


Gab es Momente, in denen du dich mit Henriette persönlich identifizieren konntest? Oder ist es dann doch „eine ganz andere Zeit“?
Sabine: Ich konnte (und kann) mich mit Henriette eigentlich immer sehr gut identifizieren. Die Zeit war eine andere, aber die Widerstände, mit denen sie zu kämpfen hat, sind doch erschreckend vertraut. Schon als junges Mädchen hat sie Wünsche und Träume. Sie kommt allerdings gar nicht auf die Idee, dass die erfüllt werden könnten. Sie lässt sich ins Bockshorn jagen und es dauert viele Jahre, bis sie endlich lernt, ihre eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und dafür zu kämpfen. Das ist ein Muster, das ich (leider) für durchaus aktuell halte. Wir sind zwar hinsichtlich der Gleichberechtigung ein gutes Stück weiter als zu Henriettes Zeiten, aber es gibt nach wie vor klassisch weibliche Erziehungs- und Verhaltensmuster, die den damaligen erschreckend gleichen. 

Würdest du sagen, dass Henriette eine „moderne Heldin“ ist – oder eher ein Kind ihrer Zeit?
Sabine: Ich halte Henriette unbedingt für eine Tochter ihrer Zeit, denn sie ist dieser Zeit ja nicht voraus, sondern verfügt über den Mut und die Entschlossenheit, die Lebensumstände, die für sie nicht länger akzeptabel sind, infrage zu stellen und aktiv zu verändern. Das eint sie mit anderen Frauen dieser Generation. Was diese Frauen dann zu Heldinnen macht ist der Umstand, dass sie sich vernetzen und gemeinsam dafür kämpfen, dass das, was sie erreicht haben, den folgenden Generationen zur Verfügung steht. 
Henriette hat sich bis zu ihrem Tod in der Frauenbewegung engagiert, vor allem die Mädchenbildung war ihr ein großes Anliegen. Dass diese heute und hier selbstverständlich ist, verdanken wir der Beharrlichkeit und der Entschlossenheit dieser Frauen.          

Was wünschst du dir, was Leserinnen und Leser aus deinem Buch mitnehmen sollen?
Sabine: Ich hoffe, dass Henriettes Geschichte dazu beiträgt, dass wir die Frauen nicht vergessen, die sich einst auf den Weg zur Gleichberechtigung gemacht haben. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, woher wir kommen und dass wir noch lange nicht am Ziel sind. 
Damals wie heute war sich die Frauenbewegung nicht in allen Punkten einig. Immer wurde diskutiert und gestritten. Und immer brauchte es Respekt, Empathie und vor allem Verständnis und Toleranz andere Lebensentwürfe. Ohne Solidarität kann das große und gemeinsame Ziel nicht erreicht werden – die Gleichberechtigung. 
Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen leider deutlich, dass außerdem das Erkämpfte und Erreichte verteidigt werden muss. Als ich Henriette schrieb, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ein internationaler Spitzenpolitiker ein Video teilt, in dem das Frauenwahlrecht infrage gestellt wird. Und das ist nur die krasse Spitze des Eisbergs. So haarsträubend und bizarr das erscheinen mag, es zeigt deutlich, dass es auch die gibt, die das Rad der Geschichte zurückdrehen möchten. Umso wichtiger ist es, dass wir gemeinsam auf dem richtigen Weg bleiben – beharrlich und solidarisch.    

Ich gehe davon aus, dass du selber gerne liest – in welchem Genre bist du dann gerne unterwegs? Und welche Autoren oder Autorinnen liest du besonders gerne?
Sabine: Ich lese leidenschaftlich gern und auch sehr viel und bin eigentlich in allen Genres unterwegs. Bei Liebesroman und Science Fiction greife ich eher selten zu. Das liegt aber eher an Lese- und Konsumgewohnheiten, die sich immer wieder verändern. 
Von daher gibt es auch viele Autorinnen und Autoren, die mich lange begleitet haben und noch begleiten. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass meine Leidenschaft für historische Romane vor langer Zeit von Rebecca Gablé und ihrem „Rad der Fortuna“ geweckt wurde. Das große Glück als Vielleserin ist es allerdings, dass es immer wieder neue Schätze zu entdecken gibt. In den letzten Jahren waren das für mich unter anderem Autorinnen wie Chimamanda Ngozie Adichie, Hanya Yanagihara, Liz Nugent und Barbara Kingsolver. Ganz aktuell bin ich komplett begeistert von Yael van der Wouden – „In ihrem Haus“ hat mich wirklich umgehauen.

Sabine: Vielen Dank liebe Heidrun, dass Du Dich den Fragen gestellt hast - ich fand es sehr interessant und drücke jetzt natürlich feste die Daumen für die Verleihung! Da werden wir uns dann auch wiedersehen! Alles Gute!

 

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