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[Rezension] José Saramago – "Die Stadt der Blinden"

José Saramago – Die Stadt der Blinden
Dystopie
 

 Originaltitel: „Ensaio sobre a Cegueira“ (1995)
 Übersetzer: Ray-Güde Martin
 Verlag: Rowohlt-Verlag
 ISBN-13: 978-3-499-22467-6 
 Seiten: 399 Seiten
 Erschienen: 1. April 1999
 Umschlaggestaltung: C. Günther /W. Hellmann
 Umschlagabbildung: nonstock /Bilderberg; Andreas Bleckmann

   
Buchrückentext
„Eine Ampel in einer namenlosen Stadt springt auf Grün. In Auto bleibt dennoch stehen. Der Fahrer ist urplötzlich erblindet. Den freundlichen Helfer, der den Erblindeten nach Hause bringt und sich anschließend dessen Autos bemächtigt, ereilt das gleiche Schicksal. Wie eine Epidemie greift die Blindheit um sich. Der Staat reagiert brutal. Die Erblindeten werden in einem leer stehenden Irrenhaus interniert, wo sie sich selbst überlassen werden. Doch es gibt eine Sehende unter ihnen, die die Krankheit nur vorgetäuscht hat, um bei ihrem Mann zu bleiben. Mit ihrer Hilfe könnte der Ausbruch gelingen…“

Meine Meinung
Ich bin lange um dieses Buch herumscharwenzelt – der Klappentext hat mich sehr angesprochen, abgehalten haben mich aber Stimmen, die das Buch als schwierig empfunden haben. Zum Glück haben wir es in einem Lesekreis gemeinsam gelesen – und ich fand es großartig!

Es ist eine düstere Dystopie – wie ein Virus greift eine scheinbar ansteckende Blindheit um sich; der Staat ist überfordert und isoliert kurzerhand die ersten Betroffenen. Zusammengepfercht sind sie abhängig von dem, was der Staat ihnen an Lebensmitteln liefert, denn verlassen dürfen sie das Haus nicht, dann werden sie erschossen. Die Nahrung ist knapp, die hygienischen Umstände eine Katastrophe – doch die Notlage schweißt nicht zusammen, sondern lässt Gruppen entstehen, die sich bekriegen. Eine Sehende ist unter den Erblindeten – sie hat sich als krank ausgewiesen, um bei ihrem Mann bleiben zu können; aber kann sie die Gruppe retten, zumal keiner weiß, was außerhalb des Hauses eigentlich los ist?

Das Buch ist nicht leicht zu lesen, aber mich hat es sehr beeindruckt. Es sagt so viel aus über die Menschen; Dinge, die ich eigentlich weiß, die aber weh tun, wenn sie man so brutal vor Augen geführt bekommt. Es geht um Macht und den Drang zu überleben, auch wenn der Weg über Leichen führt; es geht um bittere Kämpfe ohne Rücksicht auf Verluste, aber auch um Menschlichkeit, die doch immer wieder aufblitzt, die aber neben allem Egoismus, aller Gewalt und Brutalität nur an wenigen Stellen wirklich spürbar ist. Es ist ein bitterer Blick in eine mögliche Zukunft, ein düsteres Spektakel, das Grenzen aufzeigt und bitterböse Einblicke in dunkle Seelen bietet. Und das Schlimmste – so düster das alles hier ist, kann ich mir vieles genau so vorstellen.

Es ist nicht so, dass in dem Buch viel passiert, vielmehr hat der Autor ein unglaubliches Geschick bewiesen, durch verschiedene Stilmittel diese bestimmte Atmosphäre einzufangen. Zum einen haben die agierenden Personen alle keine Namen, sondern sind ausgezeichnet durch Merkmale - es gibt den Augenarzt, die Frau des Arztes, den Mann mit der Augenklappe oder das schielende Kind. Ich finde, das unterstreicht die Blindheit ungemein, genauso wie der eigenwillige Schreibstil – es gibt sehr lange Sätze, bei denen der Autor kaum Gebrauch von Punkten oder Kommata macht, auch wird wörtliche Rede nicht durch entsprechende Zeichen gekennzeichnet. So wie die Blinden in dem Irrenhaus ziellos herumwandern, wird auch dem Leser einiges abgewonnen beim Lesen dieser Aneinanderreihung von Sätzen. Diese Verwirrtheit wird auch erreicht durch wechselnde Erzählperspektiven – es gib mal einen auktorialen Erzähler, mal einen Ich-Erzähler, meist aber wird der personale Erzähler gewählt. Durch all diese Stilmittel entsteht diese düstere Atmosphäre, die diese merkwürdige Epidemie mit sich bringt, aber vor allem ist die Verzweiflung und Verwirrtheit, die Blindheit geradezu spürbar. 

Es ist kein Buch, das spannend ist, weil man vielleicht an eine mögliche Flucht denkt, in der es dann zu Action kommt, und dennoch entsteht ein Sog, weil man natürlich wissen will, wie diese Geschichte endet, ob die Blinden gerettet werden oder ob die Epidemie vielleicht die ganze Stadt dahinrafft. 

Mich hat dieses Werk tief beeindruckt und viel nachdenken lassen; es war nicht leicht zu lesen, aber für mich hat sich die Lektüre dennoch gelohnt. Ein zwar düstereres und drastisches Buch, das leider aber viele wahre Einblicke in die menschlichen Seelen bietet. Ich gebe 5 von 5 Sternen.

Mein Fazit
Ein düstereres Meisterwerk, das großartige, aber auch ernüchternde Blicke in die menschlichen Seelen liefert. Ernüchternd deshalb, weil so viel Wahres auftaucht, dass es mich sehr nachdenklich und traurig gestimmt hat. Der Schreibstil ist außergewöhnlich, aber so unglaublich passend, dass ich – obwohl es wirklich schwer zu lesen ist – nicht von dem Buch ablassen konnte. Ich gebe 5 von 5 Sternen.


4 Kommentare:

  1. Hi Sabine!

    Über das Buch bin ich vor längerer Zeit mal zufällig gestolpert und es klang echt interessant - dennoch war ich immer nicht so wirklich sicher, ob es was für mich wäre. Aber das was du beschreibst klingt wirklich gut. Ich müsste dann halt in der Stimmung sein für was ruhiges, intensives. Ich finde das immer gut, wenn ich das vorher weiß. Denn sonst kann es gut passieren, dass ich es abbreche ^^

    Liebste Grüße und einen schönen Sonntag!
    Aleshanee

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    1. Ja - die Stimmung sollte passen, weil es wirkclih düster und intensiv ist, zwar spannend, aber dennoch ruhig. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es dir auch gefällt Mich würde deine Meinung interessieren!

      LG Sabine

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  2. Hallo Sabine,
    ich habe vor Ewigkeiten den Film zum Buch gesehen und fand ihn großartig. Jahre später wollte ich dann auch das Buch lesen. Ich stimme dir zu: Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig. Das ist mir bei einigen alten Klassikern schon aufgefallen. Hat man sich aber erstmal daran gewöhnt, macht gerade dieser Schreibstil das Buch auch oft zu etwas Besonderem.
    Ich bin ganz deiner Meinung: Ein Klassiker, der mehr Aufmerksamkeit verdient hat.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

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    1. Ich kann mir das Buch sehr gut als Film vorstellen, ich werde ihn nur nicht schauen, da er bestimmt auch brutal ist. Mich hat die Geschichte noch lange beschäftigt.

      Liebe Grüße Sabine

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