[Rezension] Mareike Fallwickl – "Die Wut, die bleibt"

Mareike Fallwickl – Die Wut, die bleibt
Gegenwartsliteratur
 

Verlag: Argon-Verlag
ISBN-13: 978-3-732-45831-8
Dauer: 650 Minuten
Erschienen: 22.3.2022
Sprecherinnen: Marie-Isabel Walke, Ulrike Kapfer

   
Zum Inhalt
„Helene, Mutter von drei Kindern, steht beim Abendessen auf, geht zum Balkon und stürzt sich ohne ein Wort in den Tod. Die Familie ist im Schockzustand. Plötzlich fehlt ihnen alles, was sie bisher zusammengehalten hat: Liebe, Fürsorge, Sicherheit. Helenes beste Freundin Sarah, die Helene ihrer Familie wegen zugleich beneidet und bemitleidet hat, wird in den Strudel der Trauer und des Chaos gezogen. Lola, die älteste Tochter von Helene, sucht nach einer Möglichkeit, mit ihren Emotionen fertigzuwerden, und konzentriert sich auf das Gefühl, das am stärksten ist: Wut.“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Ein interessanter Plot und eine sehr gute Erinnerung an „Dunkelgrün, fast schwarz“ haben mich zu diesem Buch greifen lassen – und mit ihrer erzählerischen Kraft hat mich die Autorin beeindruckt, auch wenn ich lange nicht mit allen Handlungen einverstanden bin und so viel Stoff zum nachdenken und diskutieren bleibt.

Helene ist Mutter in einer 5-köpfigen Familie – ein ständiger Wechsel zwischen Familienglück und Überforderung führt im Lockdown zum tödlich endenden Sprung vom Balkon. Mit Helene sind auch Zusammenhalt, Liebe und Sicherheit in der Familie verschwunden – was bleibt, ist Wut.

Die Geschichte wird abwechselnd aus zwei Perspektiven erzählt – zum einen aus Sicht Lolas, der ältesten Tochter Helenes, die mit Selbstzerstörung und Wut auf den Suizid der Mutter reagiert und sich einer aggressiven Frauen-Selbstverteidigungsgruppe anschießt. Zum anderen aus Sicht Sarah, der besten Freundin Helenes – sie springt in der Familie als Ersatzmutter ein, wird dort von Johannes, Helenes Ehemann, bald als selbstverständlich angesehen, was wiederum Sarah kritisch auf ihr eigenes Leben blicken lässt, ihre Freundschaften, ihre Beziehung und auch ihren Beruf.

Es ist kein leichtes Buch, das die Autorin geschrieben hat, denn die beiden Protagonistinnen reagieren auf sehr unterschiedliche Weisen auf den Tod Helenes und haben in mir einiges ausgelöst. Lolas Geschichte ist heftig und lässt mich am Ende auch ratlos zurück – denn das Ventil, dass sie findet, um mit dem Schmerz und der Wut umzugehen, ist krass und für mich auch kritisch, insbesondere, da sich dieser Strang am Ende auch nicht richtig auflöst. Auf keinen Fall befürworte ich Lolas Umgang mit der Situation, dennoch glaube ich fest, dass es eine mögliche Reaktion sein kann, auch wenn ich diese Form von Trauerbewältigung aufs schärfste kritisiere. So schrecklich der Weg Lolas ist, so sehr zeigt er aber auch die Not und Verzweiflung, die in ihr brodelt. 

Ganz anders als Lola reagiert Sarah – sie übernimmt die Rolle Helenes in der Familie und hält die alltäglichen Abläufe irgendwie aufrecht. Dabei verliert sie sich aber auch ein Stück weit selber, und erst nach und nach reflektiert sie ihr eigenes Leben. Ihr war ich emotional deutlich näher, auch wenn ich sie nicht in allen Punkten verstanden habe und wahrscheinlich an vielen Stellen auch anders handeln würde. Trotzdem mochte ich sie, zum einen wegen ihrer fürsorglichen und verantwortungsvollen Art, zum anderen aber auch, weil sie eben nicht perfekt ist und so sehr authentisch wirkt mit all ihren Zweifeln und Sorgen.

Die Autorin hat einen fesselnden Schreibstil, der mich völlig eingenommen hat – sie erzählt bildgewaltig und mit viel Intensität und schafft zudem, für die beiden unterschiedlichen Frauen den richtigen bzw. passenden Ton zu finden. Bei Lola spürt man geradezu die Wut und den Hass, bei Sarah ist es eher eine Unruhe und Ziellosigkeit, die vorherrscht. Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass die Autorin im Buch gendert – mich hat es beim Hörbuch nicht gestört, bin aber tatsächlich nicht sicher, ob ich das beim selberlesen anders empfunden hätte. 

Die Männer in der Geschichte bleiben alle etwas blass und farblos, zum Teil auch klischeehaft – deshalb denke ich, dass das Buch eher Frauen gefallen wird und sich Männer nicht so angesprochen fühlen. Dabei ist es aus meiner Sicht dennoch kein feministisches Buch, eher der ganz persönliche Umgang mit einer schweren Situation, dies zugegebenermaßen aus weiblicher Sciht. Interessant wäre dennoch auch die Sicht Johannes gewesen, diese wird nur am Rande dargestellt und geht in dem ganzen Paket von Sarah und Lola unter. 

Ich gebe diesem Hörbuch 5 von 5 Sternen. 

Mein Fazit
Sicher ein Buch, das polarisiert, das aber auch sehr authentisch unterschiedliche Formen von Trauer zeigt. Zwei starke Frauen, die ganz unterschiedlich an ihre Wut herangehen und mit ihr umgehen – erzählt mit einer bildgewaltigen und mitreißenden Sprache. Ich gebe 5 von 5 Sternen. 


2 Kommentare:

  1. Hallo Sabine!

    Das wäre wohl wieder was für eine kleine Leserunde gewesen, wenn hier so viel Diskussionsbedarf besteht :)
    Der Schreibstil scheint ja wieder sehr intensiv gewesen zu sein! Das Thema an sich spricht mich jetzt nicht direkt so an, aber da mir ja das andere Buch von ihr auch so gut gefallen hat, möchte ich es definitiv lesen. Aber ich werde damit noch etwas warten, denke ich, das es sich schon sehr bedrückend anhört, was hier passiert.

    Vielen Dank für deinen Einblick!

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Ich fand das Buch wirklcih großartig, aber auch nicht einfach. Die beiden Frauen haben einen so untershciedlcihen Umgang mit der Trauer, dass es viele Fragen aufwirft. Und ja - es ist bedrückend. Ich denke, da sollte man schon in er richtigen STimmung sein.

      Ich bin gespannt, was du sagen wirst, wenn du zu ihm gegriffen hast.

      LG Sabine

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