Leon Engler - Botanik des Wahnsinns
Gegenwartsliteratur
Verlag: Dumont Audio
ISBN-13: 978-3-755-81535-8
Dauer: 346 Minuten
Erschienen: 12.8.2025
Sprecher: Johannes Nussbaum
Zum Inhalt
„Als bei der Zwangsräumung der Wohnung seiner Mutter durch eine Verwechslung alles von Wert in die Müllverbrennungsanlage wandert, bleibt dem Erzähler wortwörtlich nur der Abfall der eigenen Familiengeschichte. Wie hat es so weit kommen können? Der Erzähler blickt auf die Biografie seiner Familie: ein Stammbaum des Wahnsinns. Die Großmutter bipolar, zwölf Suizidversuche, der Großvater Stammkunde in Steinhof, die Mutter Alkoholikerin, der Vater depressiv. Und er blickt auf seinen eigenen Weg: Eine Kindheit im Münchner Arbeiterviertel. Die frühe Angst, verrückt zu werden. Die Flucht vor der Familie ins entfernte New York. Jahre in Wien mit Freud im Kaffeehaus. Und wie er schließlich doch in der Anstalt landet – als Psychologe. Bei der Arbeit mit den Patienten lernt er, dass ein Mensch immer mehr ist als seine Krankheit, dass Zuhören wichtiger ist als Diagnostizieren. Vor allem aber muss er sich bald die Frage stellen, was das sein soll: ein normaler Mensch.“ (Quelle: Verlagsseite)
Meine Meinung
Ich bin über das Cover gestolpert, das mir wirklich gar nicht gefällt – umso mehr hat mich der Klappentext angesprochen und neugierig gemacht.
Nach der Zwangsräumung der Wohnung seiner Mutter wird versehentlich alles von persönlichem Wert entsorgt - zurück bleiben dem Ich-Erzähler nur Erinnerungen an eine Familie, in der psychische Erkrankungen von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Und so scheint es dem Erzähler des Romans nur selbstverständlich, dass auch ihn dieses Schicksal ereilen wird. Er beobachtet sich selbst, um erste Anzeichen zu erkennen, flieht nach dem Schulabschluss nach New York und sucht in verschiedenen Städten nach dem Ort, an dem er nicht mehr von der Last der familiären Krankheitsgeschichte verfolgt wird. Schließlich kehrt er nach Europa zurück und findet in Wien eine neue Heimat und, als Psychologe, auch den Mut, sich seiner Familiengeschichte zu stellen. Angestellt in einer Psychiatrie kommt er seiner Familie näher als je zuvor.
„Botanik des Wahnsinns“ erzählt die Geschichte einer Familie, in der ganz verschiedene psychische Erkrankungen den Alltag bestimmen. Der Ich-Erzähler blickt zurück – auf persönliche Erlebnisse als Psychologe in der Psychiatrie und auf die Vergangenheit der Familie und liefert zudem medizinische Hintergrundinformationen sowie einen historischen Abriss von Behandlungsmöglichkeiten in der Psychiatrie.
Dem Autor gelingt es, ein überaus ernstes und tragisches Thema mit Distanz, Zynismus und bisweilen auch einer Prise Humor zu vermitteln. Immer wieder wird die Welt der psychischen Erkrankungen mit der Botanik verglichen, deshalb auch der ungewöhnliche, aber sehr passende Titel „Botanik des Wahnsinns“. Bereits Carl von Linné hat die verschiedenen psychischen Erkrankungen wie Pflanzen geordnet – und immer wieder wird auch die Frage über „Normal“ und „Unnormal“, „gesund“ und „verrückt“ aufgeworfen.
Das Thema, dass psychische Störungen innerhalb einer Familie weitergegeben werden, hat mich sehr gepackt. Die Mischung aus Roman mit fiktiven Elementen und Fakten über psychische Störungen und deren – auch historische – Behandlung fand ich gelungen, auch wenn mir das Buch an mancher Stelle dann doch zu sehr in den Stil eines Sachbuchs abdriftete. Ansonsten war der Erzählstil aber sehr angenehm - anspruchsvoll, mit messerscharfem Verstand, aber auch Sprachwitz und Zynismus, kurzum: er war sachlich, reflektiert, emotional und sarkastisch.
Inwieweit eigene Erfahrungen des Autors in diesen Roman eingeflossen sind, kann ich nicht sagen, man spürt aber, dass er sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hat. Ich konnte mich an vielen Stellen gut in den Erzähler hineinversetzen – ein Mensch zugleich auf der Flucht vor sich und seiner Familiengeschichte und auf der Suche nach sich selbst. Und mir hat sehr gefallen, wie er verschiedene Wege für sich aussucht, und sich dann am Ende tatsächlich mit seiner Geschichte und der seiner Familie versöhnt.
Insgesamt habe ich das Hörbuch sehr gerne gehört. Besonders gefallen hat der Sprecher Johannes Nussbaum, der die verschiedenen Aspekte gut dargestellt und mit seiner Stimme immer den richtigen Ton gefunden hat.
Mein Fazit
Eine gelungene Familiengeschichte, in der verschiedene psychische Erkrankungen das Leben aller beeinflusste – ein interessantes Thema und eine interessante Bearbeitung. An mancher Stelle ist mir der Erzählton ein wenig zu sehr ins Sachliche gerutscht, insgesamt aber habe ich viel gelernt und mich gut in den Ich-Erzähler einfühlen können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Teile mir deine Gedanken und Kommentare zu meinem Beitrag mit - ich freue mich sehr auf unseren Austausch!
DATENSCHUTZ: Mit dem Absenden deines Kommentars und dem Einverständnis der Kommentar-Folgefunktion bestätigst du, dass du meine Datenschutzerklärung sowie die Datenschutzerklärung von Google gelesen hast und akzeptierst.