[Rezension] Suzie Miller - "Prima Facie"

Suzie Miller - Prima Facie
Gegenwartsliteratur
 

 Originaltitel: Prima facie (21.4.2022)
 Übersetzerin: Katharina Martl
 Verlag: Speak low-Verlag   
 ISBN-13: 978-3-948674-27-4
 Dauer: 616 Minuten
 Erschienen: 29.1.2024
 Sprecherin: Pegah Ferydoni

   
Buchrückentext
„Tessa Ensler ist die auffälligste unter den jungen Strafverteidiger:innen Londons. Sie entstammt nicht einer jener angesehenen Familien mit old money. Sie hat sich aus einem Klima häuslicher Gewalt befreit und aus der Arbeiter:innenklasse hochgearbeitet. Heute verteidigt sie unter anderem Männer, die wegen sexueller Übergriffe angeklagt sind. Ihre Art, Zeuginnen – die mutmaßlichen Opfer – ins Kreuzverhör zu nehmen, ist legendär und wird zu ihrer Eintrittskarte in den inner circle der Anwaltskammern. Es scheint, als hätte sie es geschafft. Doch dann passiert etwas, das ihren Glauben an das Gesetz tief erschüttert, und sie entscheidet sich, selbst in den Zeug:innenstand zu treten.“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Ich bin zufällig über das Hörbuch gestolpert und wusste nicht, auf was genau ich mich da einlasse – so viel vorweg: Ein Buch, das jeder lesen oder hören sollte, auch wenn es wirklich schwere Kost ist und diese explizit ausgeführt wird – daher eine Triggerwarnung: Es geht um sexualisierte Gewalt gegen Frauen. 

Tessa Ensler kommt ursprünglich aus bescheidenen Verhältnissen, hat es aber geschafft, zu einer der besten Strafverteidigerinnen Londons zu werden. Sie glaubt fest an das Rechtssystem, kämpft für ihre Mandanten und ist der Überzeugung, dass auch Angeklagte eine faire Verteidigung verdienen. Bis sie dann selber als Angeklagte auf der Zeugenbank sitzt. 

Was für ein Hörbuch! Was als Justizroman beginnt, endet in einer flammenden Rede für Fairness und Gerechtigkeit. In der ersten Hälfte lernt man Tessa näher kennen – wie sie arbeitet, wie sie ihre Mandanten vertritt und so auch schon einige Angeklagte freibekommen hat. Immer wieder geht es dabei auch um das Kreuzverhör – die Befragung von Zeugen durch den Anwalt der Gegenseite; die Autorin erklärt hier sehr genau, wie durch Techniken und psychologische Kniffs das Gegenüber in die Mangel genommen wird und wie man den Zeugen ins Schwanken bezüglich seiner Aussagen bringt. Tessa ist eine selbstbewusste Frau, die sich für ihre Mandanten einsetzt und kämpft; sie weiß, was sie kann und unterstützt so auch gerne junge Kollegen. Privat lebt sie eher zurückgezogen, hat mal hier, mal da eine Affäre, aber eben keine Beziehung. Als sich mit einem Kollegen etwas Festeres anbahnt, kann sie ihr Glück gar nicht fassen – umso erstaunlicher, dass gerade dieser Mann sie dann vergewaltigt. 

Selber als Zeugin im Zeugenstand erlebt sie das ganze Rechtssystem dann von der anderen Seite – und merkt, wie ihr das Kreuzverhör zusetzt, wie ungerecht die Justiz ist und wie sie selber ins Stocken und Straucheln gerät – aus der selbstbewussten Anwältin wird eine verunsicherte Frau. Wie soll vorgegangen werden, wenn es keine Beweise gibt und Aussage gegen Aussage steht? Und hier wird dann auch der Titel des Buches klar - in der Juristensprache bedeutet "Prima facie" (lateinisch für "auf den ersten Blick") nämlich, dass niemand verurteilt werden kann, solange der Tathergang nicht zweifelsfrei bewiesen ist – ein Dilemma.

Es wird geschätzt, dass weltweit etwa jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von sexueller Gewalt wird – eine alarmierende Zahl, insbesondere, da die wenigsten Fälle gemeldet oder gar verhandelt werden. Dieses Buch zeigt nicht nur die Gewalt, die ausgeübt wird, sondern auch die Ungerechtigkeit des Rechtssystems – es ist ein kämpferisches Plädoyer für Fairness, ein lauter Ruf nach Gerechtigkeit. Für mich daher eine Pflichtlektüre, auch wenn es sicher triggert und der Inhalt schwer auszuhalten ist!

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