Sarah Kuttner - Mama & Sam
Gegenwartsliteratur
Verlag: Argon Hörbuch
ISBN-13: 978-3-732-42214-2
Dauer: 399 Minuten
Erschienen: 8.10.2025
Sprecher: Sarah Kuttner, Anna Thalbach, Julian Horeyseck
Zum Inhalt
„Eine Tochter steht in der Wohnung ihrer plötzlich verstorbenen Mutter. Die Mutter ist fort, ihre gesamten Ersparnisse auch. Was bleibt, sind Fragen: Warum ist die Wohnung so chaotisch, der Briefkasten so voll? Und wie ist es überhaupt möglich, seine eigene Mutter an einen Heiratsschwindler zu verlieren?
Sarah Kuttner erzählt die Geschichte einer Frau, die Liebe suchte und auf einen Love Scammer traf. Die sich verliebte und die Augen verschloss. Die nichts zurückließ, außer einem schier endlosen Chat mit dem Betrüger. Vor allem aber ist es die Geschichte einer Tochter, die zurückbleibt, mit einer Leerstelle, wo einmal die Mutter war.
Also liest die Tochter die Nachrichten, die nicht für sie bestimmt waren, liest Dinge über sich selbst, die sie nie wissen wollte. Und doch, ganz langsam, füllt sich die Leerstelle mit einer Nähe, wie sie beiden zu Lebzeiten nicht möglich war.“ (Quelle: Verlagsseite)
Meine Meinung
Ich habe schon einige Bücher von Sarah Kuttner gelesen bzw. gehört und schätze sie sehr als Autorin ernster Literatur. Diesmal behandelt sie ein Thema, das ich nicht nur wichtig finde, sondern zu dem ich bisher auch noch keinen Roman gelesen habe – und es hat mir sehr gut gefallen!
Eine Tochter steht nach dem Tod ihrer Mutter vor vielen Fragen: Warum ist die Wohnung so chaotisch, das Leben ihrer Mutter so unaufgeräumt, der Briefkasten übervoll? Und wie konnte es passieren, dass ihre Mutter an einen Heiratsschwindler geriet? DIe Tochter sucht nach Puzzlesteinen, die das Bild, das ihre Mutter hinterlässt, erklären. Es ist die bewegende Geschichte einer Frau, die ihre Mutter auf eine Art und Weise neu entdeckt, die sie sich nie hätte vorstellen können – nämlich über Chats, die ihre Mutter mit einem Love-Scammer geführt hat. Diese Entdeckung wird zur Reise in die eigene Vergangenheit und zu einer Annäherung, die zu Lebzeiten der Mutter nicht möglich war. Inmitten der Trauer und des Verlusts wird die Tochter mit ihrer eigenen Beziehung zu ihrer Mutter und deren geheimen Wünschen konfrontiert.
Das Thema des Hörbuchs hat mir sehr gut gefallen, vor allem auch, weil ich zum Thema Love Scam noch nichts in dieser Form gelesen oder gehört hatte und der Aspekt, dass eine Tochter nach dem Tod ihrer Mutter in den Chat-Verläufen einer nicht existierenden Person nach Antworten sucht, einzigartig und fesselnd ist. Besonders beeindruckt hat mich, wie Sarah Kuttner dieses Thema nicht nur als einen Betrug, sondern auch als eine tief menschliche, fast tragische Geschichte einer verlorenen Liebe und einer unheilbaren Leerstelle im Leben der Mutter und Tochter aufbereitet. Die Gedanken und Reflektionen der Tochter, die mit dem Verlust und den geheimen Facetten ihrer Mutter konfrontiert wird, bieten eine intensive emotionale Reise, die durch die verschiedenen Erzählperspektiven und die Stimmen der Sprecher hervorragend unterstützt wird.
Die Charaktere in diesem Hörbuch sind authentisch und glaubwürdig dargestellt. Die Tochter wird als eine Person gezeichnet, die mit Wut, Trauer und auch einer gewissen Verwirrung über ihre Mutter konfrontiert ist. Es ist faszinierend zu hören, wie sie sich durch das Lesen der Chat-Verläufe immer näher an ihre Mutter heranarbeitet und dabei ihre eigenen Gefühle und Widersprüche reflektiert. Besonders gut gelungen ist die Darstellung der Mutter, die auf der einen Seite als Opfer eines Betrügers erscheint, aber gleichzeitig auch als jemand, der sich nach Nähe und Anerkennung sehnt – selbst wenn sie diese auf eine illusionäre Weise suchte. Ihr Verhalten kann man nicht nur mit Mitleid betrachten, sondern auch mit einem gewissen Verständnis, weil ihre Einsamkeit und die Suche nach Liebe nachvollziehbar sind.
Die Auswahl der Sprecher hat mich zudem überzeugt: Sarah Kuttner, die die Rolle der Tochter übernimmt, spricht in einem rauen, umgangssprachlichen Ton, der zu ihrer reflektierenden und oft verzweifelten Haltung passt. Ihre Stimme ist dabei eine Mischung aus Trost und Verzweiflung, was es schwer macht, sich nicht mit ihr zu identifizieren. Anna Thalbach bringt die Mutter authentisch zur Geltung. Ihre Stimme ist in ihrer Unverwechselbarkeit perfekt gewählt – sie erinnert an eine Frau in den 60ern, die mit Lebenserfahrung und gleichzeitig einer gewissen Zerbrechlichkeit zu kämpfen hat. Julian Horeyseck als Scammer hat die Aufgabe, den Betrüger zu verkörpern, und dies tut er auf eine eindringliche und überzeugende Weise. Er schafft es, der Rolle des Scammers eine bedrohliche, aber zugleich fast schon mechanische Kälte zu verleihen, die den Betrug umso verstörender macht.
Der Schreibstil von Sarah Kuttner ist den jeweiligen Figuren angepasst: Bei den inneren Monologen der Tochter arbeitet sie mit umgangssprachlichen und direkten Formulierungen. Es wird nicht um den heißen Brei geredet – die Tochter denkt laut, fühlt intensiv und spricht oft so, wie es in ihrem Kopf klingt. Die Chats zwischen der Mutter und dem Scammer sind in einem Stil geschrieben, der zur etwas älteren Generation passt, die noch in einer Zeit groß wurde, in der Romantik und Vorstellungskraft einen anderen Stellenwert hatten. Der Scammer hingegen spricht nahezu maschinenhaft, was die Künstlichkeit seiner Aussagen und Absichten nur noch verstärkt.
Es ist bemerkenswert, wie gut die verschiedenen Perspektiven voneinander abgegrenzt werden, nicht nur durch die Erzählweise, sondern auch durch die Stimmen der Sprecher. Man kann sich schnell zurechtfinden und fühlt sich immer gut geführt durch die wechselnden Erzählstränge.
Am meisten beeindruckt hat mich, wie sich die Tochter immer mehr mit ihrer Mutter auseinandersetzt und dabei diese neuen Seiten an ihr entdeckt. Es ist ein langsamer Prozess des Verstehens, der gleichzeitig auch mit Wut und Enttäuschung über die Mutter einhergeht. Man kann sich gut vorstellen, wie schwierig es ist, eine solche Entdeckung zu verarbeiten – vor allem, weil die Tochter sich von ihrer Mutter immer eine Form von Nähe und Verständnis erhofft hatte, die nie wirklich da war. Diese Zerrissenheit zwischen Wut und Mitgefühl wird in der Erzählung sehr gut eingefangen.
Mein Fazit
„Mama und Sam“ ist ein außergewöhnliches Hörbuch. Sarah Kuttner hat es verstanden, eine zutiefst menschliche Geschichte zu erzählen, die den Spagat zwischen Trauer, Verständnis und der Suche nach Nähe schafft. Die Sprecher tragen maßgeblich dazu bei, dass die Charaktere lebendig und die Themen eindrucksvoll rüberkommen. Besonders die Entdeckung der Mutter durch die Tochter – und die Erkenntnis, dass die Mutter vielleicht mehr wusste, als sie zugab – ist ein packender Moment der Geschichte. Es ist ein Hörbuch, das mich nicht so schnell losgelassen hat und bei dem ich auch nach dem Hören noch lange über die menschlichen Abgründe und das Thema des Love Scams nachgedacht habe.

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