Victor Jestin - Hitze
Gegenwartsliteratur
Originaltitel: „La chaleur“ (2019)
Übersetzerin: Sina de Malafosse
Verlag: Kein & Aber-Verlag
ISBN-13: 978-3-036-95828-6
Seiten: 160 Seiten
Erschienen: 12.5.2020
Coverdesign: Maurice Ettlin
Buchrückentext
„Während seine Altersgenossen bei Rekordhitze feiern, trinken und unbedingt noch ein Mädchen klarmachen wollen, taumelt der 17-jährige Léonard alleine und übermüdet durch die letzten Stunden seiner Sommerferien auf einem französischen Campingplatz. Die Nacht zuvor steckt ihm in den Knochen: Er hat einem Jungen reglos beim Selbstmord zugesehen ist dessen Tod also seine Schuld? Zugleich verwirrt ihn die verführerische Luce, hilflos und hingerissen ist er ihren schamlosen Spielchen ausgesetzt. Gefangen in seinen komplexen und gegensätzlichen Gefühlen, vermag Léonard seinem Delirium kaum zu entrinnen.“
Meine Meinung
Auf Empfehlung habe ich diesen kurzen Debütroman gelesen – und obwohl ich skeptisch war (weil ich bei dünnen Geschichten nicht so gut eintauchen kann), bin ich absolut begeistert.
Im Mittelpunkt steht der 17-jährige Léonhard, der zusammen mit seiner Mutter und ihrem Freund in einem Zeltlager an der französischen Küste einen heißen Sommer verbringt. So richtig fühlt er sich nicht wohl inmitten der anderen Jugendlichen, die sich in unbeschwerte Sommerromanzen stürzen, während er mit seiner eigenen Unsicherheit und Identität kämpft. Als Léonhard dann einen Suizid beobachtet und nicht eingreift, bringt ihn das an einen Wendepunkt seines Lebens, da er sich zunehmend mit Fragen über den Wert des Lebens, den eigenen Platz in der Welt und den Schatten des Suizids auseinandersetzt.
Trotz der scheinbaren Leichtigkeit des Campingplatzes ist die Atmosphäre von einer bedrückenden Dichte durchzogen, die Léonhards innere Zerrissenheit widerspiegelt. In nur zwei Tagen entfaltet sich eine Geschichte von intensiven Gefühlen und existenziellen Zweifeln, die mich in ihren Bann gezogen hat. Der Erzählton ist ruhig, jedoch geprägt von einer spürbaren Schwere, die die drückende Atmosphäre perfekt wiedergibt.
Léonhard ist im deutlichen Zwiespalt zwischen Anpassung und Abgrenzung: der 17-Jährige kann mit den anderen Jugendlichen nicht viel anfangen, weil er selber noch unsicher ist in Bezug auf seine Sexualität, aber auch ratlos, was das Leben von ihm erwartet. Auch in seinen Gedanken ist er hin und her gerissen. Einerseits möchte er dazugehören, andererseits erschrecken ihn die Erwartungen anderer – das schildert der Autor sehr einfühlsam. Interessant sind auch die Fähigkeit Léonhards zur Selbstreflexion und die kontinuierliche Suche nach seiner eigenen Identität; insbesondere, da die anderen Jugendlichen sich ihrer ganz sicher sind – das verdeutlicht umso mehr Léonhards innere Zerrissenheit.
Victor Jestins Schreibstil ist prägnant und pointiert, ohne unnötige Ausschweifungen. Gleichzeitig entsteht eine unglaublich dichte Atmosphäre, die vor allem düster und bedrückend ist, nahezu greifbar. Die extreme Hitze auf dem Campingplatz steht symbolisch für Léonhards innere Zerrissenheit und den emotionalen Druck, dem er ausgesetzt ist. Es gibt Momente, in denen ich das Gefühl hatte zu ersticken – und erst am Ende, als es abkühlt, kann auch Léonhard eine Entscheidung treffen, die mich zumindest kalt erwischt hat.
Mein Fazit
Ein eindrucksvolles, intensives Debüt, das eine dichte, fast klaustrophobische Atmosphäre erzeugt und bei dem ein innerlich zerrissener 17-Jähriger versucht, sich selbst zu finden. Es ist fast ein Kammerspiel, das mit einer klaren Sprache und einer eindringlichen Tiefe glänzt – obwohl ich weder ein Freund von kurzen noch von Coming-of-Age-Geschichten bin, hat mich dieser Roman sehr beeindruckt.
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