[Rezension] Anne Sauer - "Im Leben nebenan"

Anne Sauer - Im Leben nebenan
Gegenwartsliteratur
 

 ISBN-13: 978-3-84494-304-7
 Dauer: 380 Minuten
 Erschienen: 10.7.2025
 Sprecherin: Chantal Busse

   
Buchrückentext
„Eines Morgens erwacht Toni nicht wie gewohnt neben ihrem langjährigen Freund in ihrer kleinen Altbauwohnung, weil die Dielen knarren und die Nachbarn viel zu laut sind. Nein. Zu ihrer Verwunderung befindet sie sich in einer großzügig geschnittenen Wohnung. Alles hell, ordentlich, teuer eingerichtet. Und der Blick aus dem Fenster? Seltsam vertraut. Antonia versteht: Sie ist wieder in dem Dorf ihrer Kindheit. Nach und nach erfährt sie, dass sie hier ein beschauliches Leben führt, bürgerlich geordnet, mit Auto vor der Tür, Schwiegermutter nebenan und Kind auf dem Schoß. Kind auf dem Schoß? Antonia kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ist das etwa ihr Baby? Und der Vater dazu? Offenbar ihre erste große Liebe – ein Mann, den sie nie ganz vergessen konnte.“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Die Idee des Plots hat mich sehr angesprochen – was wäre aus mir und meinem Leben geworden, wenn ich an einer bestimmten Stelle anders abgebogen wäre? Diese Frage steht im Zentrum dieses Romandebüts von Anne Sauer.

Die Protagonistin Toni findet sich plötzlich nicht mehr in ihrer gewohnten Berliner Altbauwohnung wieder, sondern in einem großzügigen Haus in ihrem Heimatdorf – mit Baby auf dem Arm und ihrer Jugendliebe an der Seite. Alles wirkt vertraut und gleichzeitig vollkommen fremd. Während sie versucht, sich in dieser neuen Realität zurechtzufinden, beginnt sie zu begreifen, dass sie zwei mögliche Versionen ihres Lebens durchläuft: In der einen kämpft sie als Antonia mit einem unerfüllten Kinderwunsch, beruflichen Herausforderungen und Großstadtstress – in der anderen lebt sie bereits das, was sie sich so lange erhofft hatte. Doch in beiden Welten ist nicht alles so klar und einfach, wie es zunächst scheint.

Die Grundidee des Romans hat mich sofort neugierig gemacht. Zwei alternative Lebenswege einer Frau in ihren Dreißigern, gegenübergestellt und miteinander verwoben – das ist nicht nur erzählerisch ein interessantes Konzept, sondern berührt auch auf einer sehr persönlichen Ebene. Unwillkürlich tauchen Fragen auf, Fragen nach Entscheidungen, verpassten Chancen und innerem Glück. So richtig hat mich die Geschichte dann leider aber doch nicht packen können, wahrscheinlich liegt es an dem zentralen Thema des unerfüllten Kinderwunschs bzw. dem stilisierten erreichten Familienglück

Es gibt demnach zwei Erzählstränge – in Berlin wünscht sich Antonia zusammen mit ihrem Partner nichts sehnlicher als ein Kind. Doch es klappt nicht – und natürlich macht das etwas mit ihr und auch mit ihrer Beziehung. Im zweiten Erzählstrang lebt Antonia, jetzt aber als Toni, in einem Familienidyll – jedoch mit ihrer ersten großen Liebe. Und sie merkt schnell, dass es für sie eben nicht das Idyll ist, von dem sie geträumt hat. Toni bzw. Antonia wirkt auf mich authentisch, vor allem ihre inneren Konflikte in beiden Erzählsträngen konnte ich gut spüren, auch wenn das Thema Kinder und Familie für mich nie eins gewesen ist. Als Toni wirkt die Protagonistin sehr angepasst und gefangen in ihrem Leben – fast schon eingesperrt und nicht selbst gewählt. Antonia dagegen scheint viel offener und freier zu sein – gegenüber Menschen, Orten, Meinungen und Einstellungen. Und doch gerät sie in einen ganz bestimmten Sog, den wohl alle kennen, deren Kinderwunsch sich nicht erfüllt. Während Antonia gut gezeichnet ist als Figur, bleiben sowohl ihre Männer in dem jeweiligen Erzählstrang als auch die anderen Nebenfiguren etwas blass. Das fand ich schade, denn gerade Jakob in Berlin und Adam in Tonis Heimatstadt hätte ich gerne näher kennengelernt. 

Der Schreibstil ist angenehm, und da Antonia bzw. Toni in Ichform erzählen, auch passend zu ihnen – sehr anschaulich beschreiben sie ihren Alltag, oft mit sehr treffenden Beobachtungen. Der Wechsel zwischen den beiden Realitäten gelingt gut, denn vor jedem Kapitel wird gesagt, ob es Toni oder Antonia ist, die erzählt. Nur manche zeitliche Rückblende war gelegentlich schwer einzuordnen, und es hat dann ein bisschen gebraucht im Kapitel, bis ich wieder wusste, wo ich bin. 

Das Ende bleibt offen – und hier hätte ich mir eine Art inneren Abschluss gewünscht. So aber werfen die letzten Kapitel mehr Fragen auf als dass sie beantwortet werden, das fand ich ein bisschen unbefriedigend. 

Die Sprecherin Chantale Busse hat mir gut gefallen. Ihre Stimme passt zur Tonalität des Romans und vor allem zur Protagonistin – sie hat ein feines Gespür für die unterschiedlichen Stimmungen – und davon gab es wahrlich viele in diesem Roman. 

Mein Fazit
Ein ruhiger, gedankenvoller Roman über Lebensentscheidungen, Sehnsüchte und alternative Lebensmodelle – vielleicht hätte es einer Triggerwarnung zum Thema „unerfüllter Kinderwunsch“ bedurft. So ganz konnte ich mich nicht einfühlen in die Geschichte, was aber am Thema liegt, das in meiner eigenen Lebenswelt keine Rolle spielt. Die Atmosphäre ist aber sehr gelungen, insbesondere auch die vielen Zweifel und Gedanken, mit denen sich die Protagonistin auseinandersetzt. Wer sich für das Thema erwärmen kann, wird diese Geschichte bestimmt gefallen. 



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