[Rezension] Esther Gille - "Novemberkind"

Esther Gille - Novemberkind
Erfahrungsbericht 

Verlag: Universum
ISBN-13: 979-1-220-10089-2
Seiten: 178 Seiten
Erschienen: 15. September 2020

Buchrückentext
„„…Was liegt zwischen Leben und Tod? Die Depression. Das zu früh verstorbene innere Dasein. Das gequälte, verlorene, hilfsbedürftig leidende und alleine gelassene innere Kind. Das Kind, welches mich dereinst ins Leben zurückholen würde. Ein Wesen, von dem ich noch nichts ahnte. Was blieb, war ein funktionierendes Existieren. Eine Art Selbstläufer. Nicht mehr fühlen, stumm und taub, keine Selbstliebe mehr. Selbst der Selbsthass war mir abhanden gekommen. Die Eigenverantwortung hatte ihre Verantwortung aufgegeben. Warum soll sie sein, wenn doch nichts mehr ist? Wenn alles zerfällt. Sich auflöst, als wäre es nie gewesen.“ 
Eine dramatische Retrospektive: Die Willenskraft einer Frau die sich, trotz Schwierigkeiten und trauriger Vergangenheit, professionell verwirklicht. Sie schafft eine psychoanalytische Analyse ihres Lebens und zeigt uns, dass maladaptive Lebensschemata überwunden werden können und dysfunktionale Bewältigungsstile revidierbar sind. Alle Mitglieder einer Familie sind durch emotionale Bande miteinander verknüpft. Sind diese Verbindungen gestört, kann dies zu psychischen Problemen oder Krankheiten bei einem oder mehreren Mitgliedern der Familie führen. „…Hab das Fraglose infrage gestellt. Suchte die Wirklichkeit hinter der Wahrheit. Aber gab es denn überhaupt eine? Ja, das schon. Es gab Mutters Wahrheit und die meine - wo war der Konsens? ...Ich hatte mir den höchsten akademischen Titel in Deutschland erarbeitet... Dort stand geschrieben: Nachdem die Inauguraldissertation vorgelegen hat und mit der Note „Sehr gut“ bewertet wurde und alle übrigen Dissertationsleistungen erfüllt wurden, erteilt die Medizinische Fakultät der Universität Düsseldorf Ihnen den Grad eines Doktors der Medizin. Wie aber ging es mir? Ein ganz kurzes Empfinden von Freude war da. Sonst nichts. Ich saß auf einem Stuhl. Ferner von mir denn je. Nur einen Gedanken im Kopf: Alles, was zu leisten war, hast du nun hinter dir. Jetzt kannst du Abschied nehmen. Ich verspürte die große Sehnsucht in mir, einfach für immer sitzen zu bleiben.“ Ein mutiger, autobiografischer Roman.“

Meine Meinung
Die Autorin hat mich angesprochen, ob ich ihr Buch lesen möchte – einen Erfahrungsbericht, in dem ihre eigene schwere Depression im Mittelpunkt steht. Da mich das Thema interessiert, habe ich zugesagt – und war beim Lesen sehr erschüttert.

Es ist schon erstaunlich, was ein Mensch alles mitmachen kann und muss – Esther Gille erlebt von Kindheit an schrecklichste Situationen; da ist es nicht verwunderlich, dass sich ihre Seele zurückzieht und vergräbt. Leider nehmen die einschneidenden Erlebnisse kein Ende und ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr ganzes Leben. Schon früh hat sie Therapien, sowohl medikamentös als auch mit Gesprächen, begonnen, doch erst im höheren Lebensalter waren diese dann erfolgreich. 

Geprägt von den Ereignissen ihrer Kindheit, hat Esther Gille immer wieder versucht, sich freizustrampeln um dann aber leider auch immer wieder in die gleichen Fallen zu tappen – schrecklich, dass der Mensch sich immer wieder dem zuwendet, was er kennt, so schrecklich es auch ist. Und unverständlich auch, dass er so erneuten Schmerz in Kauf nimmt, sehr schade, dass er sich nur schwer für einen unbekannten Weg entscheiden kann, einfach aus der Angst heraus, nicht zu wissen was geschieht, aber so tickt der Mensch nun mal, leider. Therapie kann aus dieser Misere helfen, Therapie ist aber auch anstrengend; und bloß weil der Verstand das Schema begriffen hat, heißt es noch lange nicht, dass der Bauch dann auch so handelt.

Was mich verstört hat, dass die durchgeführten Therapien so schlecht geholfen haben und gewundert hat mich dann auch, dass Verfahren, die bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt werden, nicht angewandt wurden – aber vielleicht hat die Autorin diese auch nicht erwähnt, denn der Schwerpunkt dieses Berichtes liegt eindeutig auf der Schilderung der gemachten Erfahrungen. Dabei hat die Autorin einen sehr eigenen Stil zu schreiben – oft sind es kurze Sätze, dann aber auch wieder eindringliche Metaphern. Ich habe mich manchmal schwer getan mit diesem Stil, der außergewöhnlich und sehr besonders ist.

Gefehlt haben mir glückliche Momente – so ausführlich Esther Gille alles Schreckliche beschreibt, so sind die wenigen guten Momente ihres Lebens zwar erwähnt, aber leider nur sehr kurz und quasi nur im Nebensatz. Ich denke, es ist Ausdruck der Erkrankung, dass der Blick immer wieder am Furchtbaren festhält und dass das Gute beiseitegeschoben wird, ich denke aber auch, dass es helfen kann, da den Blickwinkel anzupassen.

Das Buch ist entstanden im Rahmen der Therapie, und die Autorin verarbeitet ihre Erlebnisse – bewerten kann ich das nicht, da es ihr Leben ist, das steht mir nicht zu. Man sollte aber wissen, dass die Stimmung durchweg betrübt und bedrückend ist, und man selber gefestigt sein sollte, möchte man das Buch lesen – das kann man durchaus als Triggerwarnung verstehen. Lässt man sich aber auf die Lektüre ein, bekommt man tiefe Einblicke in das Gefühlsleben der Autorin. 

WERBUNG: Vielen Dank an Esther Gille für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

2 Kommentare:

  1. Liebe Sabine,
    ich danke Dir sehr herzlich für Deine offene und ehrliche Rezension meines Buches "Novemberkind". Es ist sehr feinfühlig von Dir, dieses Buch nicht zu bewerten, Auch dafür danke ich Dir.
    Es ist etwas ganz besonderes, wenn sich Menschen Zeit nehmen um die Bücher anderer Mitmenschen zu lesen, sich damit zu befassen und ihre Eindrücke dann in Form einer Rezension zu verfassen.
    Meine Hochachtung dafür -

    Mit herzlichem Gruß

    Esther Gille

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  2. Liebe Esther,
    es war eine schwere Lektüre, aber auch ich habe Respekt, dass du deine Erfahrungen teilst. Hauptsache ist aber doch, dass du deinen Weg doch noch gefunden hast.
    Ich wünsche dir alles Gute und bleib gesund!
    LG Sabine

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