Han Kang - Menschenwerk
Zeitgenössische Literatur
Originaltitel: „소년이 온다 – Sonyeoni onda“ (2014)
Übersetzer: Ki-Hyang Lee
Verlag: Finch & Zebra
ISBN-13: 4-251-234-33837-7
Dauer: 372 Minuten
Erschienen: 15.9.2017
Sprecherin: Rike Schmid
Zum Inhalt
„Ein Junge ist gestorben, und die Hinterbliebenen müssen weiterleben. Doch was ist ihnen ihr Leben noch wert? Han Kang beschreibt in ihrem neuen Roman, wie dehnbar die Grenzen menschlicher Leidensfähigkeit sind. Ein höchst mutiges Buch und ein brennender Aufruf gegen jede Art von Gewalt.“ (Quelle: Verlagsseite)
Meine Meinung
In diesem Roman stehen die Studentenaufstände von Gwangju im Jahr 1980 im Mittelpunkt des Geschehens – ein Ereignis, das in Südkorea bis heute als Trauma nachwirkt und lange Zeit ein Tabuthema war. Ausgangspunkt der Handlung ist die Trennung zweier befreundeter Jungen während der Proteste. Einer der beiden wird getötet, woraufhin der Überlebende verzweifelt versucht, seinen Leichnam zu finden. Jahre später entfaltet sich die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven: Familienangehörige, Bekannte und Menschen, die dem Jungen begegnet sind, berichten, was sie in dieser Zeit erlebten. Zentrale Themen sind dabei staatliche Gewalt, Gefangenschaft, Trauer, das Streben nach Gerechtigkeit sowie der Wunsch, verloren Geglaubte wiederzufinden.
Das Buch zeichnet sich aus durch eine sehr detaillierte Darstellung von Gewalt und Brutalität - und das gleich von Anfang an. Ich war schockiert von der Schonungslosigkeit der Schilderungen – vor allem, weil der Klappentext das überhaupt nicht hergibt und dadurch beinahe verharmlosend wirkt. Die Darstellung körperlicher Gewalt, Misshandlung und Tod erfolgt in einer sachlich-nüchternen Sprache und hat mich damit sehr getroffen. Als Hörbuch war das für mich kaum auszuhalten, weil die Grausamkeiten in ihrer detaillierten Beschreibung äußerst belastend waren. Die Brutalität überlagert in vielen Momenten die Handlung, sodass es mir schwerfiel, dem roten Faden konsequent zu folgen oder emotionale Nähe zu den Figuren aufzubauen.
Auch sprachlich stellt das Buch hohe Anforderungen an seine Leser. Sie ist nüchtern und klar, eher distanziert, fast schon dokumentarisch. Besonders auffällig war der häufige Wechsel der Erzählperspektiven: Kapitel sind in der Ich-Form, in der Du-Form oder aus auktorialer Sicht geschrieben. Diese ständigen Wechsel erfordern ein hohes Maß an Konzentration und führten bei mir immer wieder zu Verwirrung. Auch die Figuren bleiben oft schwer greifbar: Ich hatte große Schwierigkeiten, die einzelnen Personen auseinanderzuhalten; hier wäre ein Glossar oder eine Übersicht hilfreich gewesen. Der Roman verzichtet zudem auf klare Übergänge zwischen einzelnen Szenen, was das Lesen und erst recht das Hören zusätzlich erschwert.
Trotz dieser Kritikpunkte bleibt festzuhalten, dass das Thema, das die Autorin aufgreift, von großer politischer und gesellschaftlicher Bedeutung ist. Die Fragen nach Verantwortung, Schuld und Gerechtigkeit ziehen sich durch das gesamte Werk. Ein wichtiges Thema, auf die Grausamkeit und detailliert geschilderte Gewalt möchte ich aber noch einmal hinweisen.
Mein Fazit
„Menschenwerk“ ist ein literarisch anspruchsvolles, thematisch bedeutsames Buch, das sich mit einem dunklen Kapitel der südkoreanischen Geschichte auseinandersetzt. Die distanzierte Sprache, die extreme Brutalität und der ungewöhnliche Erzählstil machten es mir persönlich jedoch schwer, in das Geschehen einzutauchen. Der Roman ist sicher kein einfaches Leseerlebnis, ganz sicher auch kein Vergnügen, dafür aber eine Herausforderung – wer sich dieser stellt, wird mit einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit Erinnerung, Leid und Widerstand konfrontiert.
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