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[Rezension] Ellen Marie Wiseman - "Die dunklen Mauern von Willard State"

Ellen Marie Wiseman - Die dunklen Mauern von Willard State
2 Zeitebenen

Verlag: Piper-Verlag
Umschlaggestaltung: Bürosüd©, München
Umschlagabbildung: Lee Snider /Corbis Images (Zaun), picture alliance (Gebäude)
ISBN-13: 978-3-492-30758-1
Seiten: 456 Seiten
Erschienen: 9.11.2015
Originaltitel: „What She Left Behind“
Übersetzerin: Sina Hoffmann

Buchrückentext
„Zehn Jahre ist es her, dass eine schicksalhafte Nacht für Izzy Stone alles veränderte: Ihre Mutter erschoss ihren Vater während er schlief. Seitdem lebt die nun 17-Jährige bei Pflegefamilien. Als sie für ein Museum Gegenstände ehemaliger Insassen der alten und berüchtigten psychiatrischen Anstalt Willard State Asylum katalogisiert, stößt sie auf einen Stapel ungeöffneter Briefe und das alte Tagebuch einer gewissen Clara Cartwright. Je mehr sie über Claras Leben in Erfahrung bringt, desto mehr klären sich auch die Rätsel ihres eigenen Lebens …“

Meine Meinung
Ich war sehr neugierig auf dieses Buch, da mich das Thema Psychiatrie in der Vergangenheit schon lange interessiert. Und die vielen positiven Stimmen zum Buch haben meine Erwartungen natürlich entsprechend steigen lassen. Zwar sind sie dann nicht alle erfüllt worden, trotzdem habe ich die Geschichte gerne gelesen.

Es gibt zwei Erzählstränge, die sich immer abwechseln, der eine spielt in der Gegenwart im Jahr 1995, der andere in der Vergangenheit, in den Jahren 1929 bis 1946. In der Gegenwart ist es die 17-jährige Izzy, die im Mittelpunkt steht, die in ihrem jungen Leben schon einiges mitmachen musste. Ihr Vater ist verstorben, ihre Mutter sitzt im Gefängnis, so dass sie bei verschiedenen Pflegefamilien aufwächst. Als sie ihrer Pflegemutter im Museum aushilft, fällt ihr ein altes Tagebuch in die Hände, das einer Clara Cartwright gehört hat – und die war jahrelang in der berüchtigten psychiatrischen Klinik Willard State untergebracht. Clara ist dann die Protagonistin des Handlungsstranges der Vergangenheit – man erfährt, wie sie in die Psychiatrie eingeliefert wurde und von den vielen Jahren, die sie dort verlebt hat. 

Claras Geschichte hat mich sehr getroffen. Ich wusste zwar um die schrecklichen und menschenunwürdigen Bedingungen in psychiatrischen Kliniken zu dieser Zeit, auch, dass die Behandlungsmethoden aus heutiger Sicht sehr fragwürdig sind, trotzdem ist es dann nochmal anders, über ein Einzelschicksal zu lesen – mich zumindest hat die Geschichte Claras sehr berührt. Es ist vor allem die Willkür, die mich so wütend gemacht hat, denn es brauchte seinerzeit nicht viel, in eine Psychiatrie eingeliefert zu werden – wieder rauszukommen, war hingegen fast unmöglich. Auch bei Clara war es nicht anders – sie wollte den Mann heiraten, den sie liebt, doch ihre Eltern hatten andere Pläne – verrückt war sie auf jeden Fall nicht, nur wollte ihr das keiner glauben. Die Autorin hat es geschafft, die Zustände in der Klinik sehr plastisch darzustellen, so bildreich, dass ich alles stets vor Augen hatte und wirklich mit Clara gelitten habe. Alles wirkte sehr glaubhaft und authentisch, und man merkt, dass die Autorin sehr gut recherchiert hat.

Auch die 17-jährige Izzy in der Gegenwart hat es nicht leicht, nicht nur weil sie von einer Pflegefamilie zur nächsten geschickt wird, sondern weil sie sich auch mit ganz „normalen“ Teenager-Problemen rumschlagen muss. Ich muss gestehen, dass mir dieser Erzählstrang leider gar nicht gefallen hat, da einfach zu viele andere Probleme angerissen werden, die die Geschichte aus meiner Sicht nicht gebraucht hätte und die dann leider auch nicht mal alle aufgelöst wurden. Dieser Erzählstrang erinnert doch sehr an Bücher aus dem Gerne New/Young adult, in dem es um Themen wie Mobbing an Schulen, Macht und Eifersucht bis hin zu Kindesmissbrauch und Selbstverletzung geht. Viele Themen werden angerissen, die Charaktere sind sehr klischeehaft und damit leider nicht glaubhaft – lediglich Izzy und ihre Pflegeeltern haben mir in diesem Abschnitt gefallen. Letztlich war ich immer froh, wenn der Erzählstrang wieder wechselte und ich bei Clara weiterlesen konnte.

Das Buch fesselt von Anfang an, allein schon wegen der wechselnden Handlungsstränge, die oft mit einem kleinen Cliffhanger endeten. Und die Spannung wird auch hoch gehalten, bis zum Schluss, in dem zwar einiges geklärt und auch gut gelöst wird, viele Fragen aber auch offen bleiben. Das letzte Drittel hat dann für mich doch einige Schwächen gehabt: es gibt große Zeitsprünge, die nicht weiter mit Geschehen gefüllt sind, in denen aber doch einiges passiert sein muss. Und das Ende scheint sehr abrupt, Probleme werden innerhalb weniger Seiten gelöst oder aber gar nicht, so dass viele Fragen für mich offen geblieben sind. Ich hätte es toll gefunden, wenn sich die Autorin auch mit dem Ende mehr Zeit gelassen hätte und vor allem die Zeitsprünge mit Leben gefüllt gewesen wären – dafür hätte ich gut und gerne 100 Seiten mehr gelesen. 

Der Schreibstil ist sehr flüssig und lässt sich leicht lesen, anfangs fand ich ihn etwas sperrig und auch schwülstig, das hat sich aber nach den ersten Kapiteln rasch verloren. Im Nachwort geht die Autorin nochmal auf ein paar historische Fakten ein – diese waren mir zwar nicht neu, interessant war es aber dennoch, und es hilft, die Geschichte besser einordnen zu können – zumal es Willard State ja tatsächlich gegeben hat.

Mein Fazit
Auch wenn meine Erwartungen nicht ganz erfüllt wurden, hat mich das Buch gut unterhalten. Das lag vor allem aber an Claras Geschichte, die mich sehr berührt hat – den Handlungsstrang der Gegenwart dagegen mochte ich leider gar nicht. Zu viele Themen wurden hier aufgegriffen, die die Geschichte gar nicht gebraucht hätte und zu sehr hat mich dieser Teil an einen Young/New-Adult-Roman erinnert. Das hat für mich einfach nicht gepasst. Da mich aber Claras Geschichte sehr beeindruckt hat und ich wieder einiges über die Zustände in Psychiatrien Anfang des 20. Jahrhunderts erfahren habe, gebe ich dem Buch insgesamt knappe 4 Sterne. 

Vielen Dank an den Piper-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

7 Kommentare:

  1. Hallo Sabine,
    eine wirklich sehr schöne Rezension zu einem, trotz kleiner Ecken und Kanten, sehr guten Buch.
    Danke, dass ich bei der entspannten Leserunde dabei sein durfte.
    Liebste Grüße,
    Hibi

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    1. Danke fürs Lob. :-)
      Ich habe zu danken, dass du mit uns zusammen gelesen hast - und ich würde mich freuen, dich mal wieder bei einer Leserunde lesen zu dürfen.
      LG Sabine

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  2. Hallo Sabine :)
    Ich lese deine Rezensionen so gerne. Du bringst es immer so gut auf den Punkt. Auch hier hast du den Ton genau richtig getroffen.
    Wir haben es ja zusammen gelesen und uns ging es ja sehr ähnlich :) Danke für die schöne Leserunde.
    Liebe Grüße
    Jacky :)

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    1. Oh danke! Ich finde das immer sehr interassen, wie andere meine Rezensionen sehen. Ich habe manchmal das Gefühl, viel drumherum zu reden, eben nicht auf den Punkt zu kommen. Aber da scheine ich mich wohl zu täuschen - und das freut mich! Danke - auch für die Leserunde mit dir. Hat großen Spaß gemacht.
      LG Sabine

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    2. Ja das stimmt, man selbst schaut ja auch nochmal ganz anders auf seine Rezension :)
      Liebe Grüße ♥

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  3. Hey Sabine,

    ich hab das Buch ja bei dir durch Gemeinsam Lesen entdeckt und habe heute meine Rezension dazu online gestellt. Jetzt wollte ich mal schauen, wie es auf dich wirkte und ich muss sagen, wir sind uns in vielem einig. Ich war nicht ganz so genervt von der Gegenwartshandlung, aber das liegt vermutlich daran, dass ich ja auch so mal ganz gern zur YA- oder NA-Sparte greife. Die Liebelei mit Ethan hat mir zwischenzeitlich Sorgen bereitet, weil ich Angst hatte, dass sie zu dominant werden könnte, doch ich fand, da hat Wiseman noch ganz gut die Kurve bekommen.
    Ich habe übrigens schon geahnt, warum Izzys Vater tot ist. Das war wirklich offensichtlich. Ich glaube, Wiseman hat das Thema angesprochen, um dem Ganzen eine Note von "Was tut man nicht alles für die eigenen Kinder" zu geben.
    Insgesamt hat mir Claras Erzählstrang aber auch besser gefallen als Izzys. Danke noch einmal für diesen tollen Tipp! :)

    Viele liebe Grüße,
    Elli

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    1. Ja - die Handlung der Gegenwart hat mich sehr genervt, eben weil ich kein NA/YA lese, trotzdem fand ich das Buch insgesamt lesenswert. Schön, dass es dir gefallen hat!

      LG Sabine

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