[Rezension] Tanja Kinkel - "Schlaf der Vernunft"

Tanja Kinkel - Schlaf der Vernunft
Gegenwartsliteratur

Verlag: Droemer
Umschlaggestaltung: NETWORK! Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: plainpicture /Millennium /Emily Ings
ISBN-13: 978-3-426-19967-1
Seiten: 448 Seiten
Erschienen: 2. November 2015

Buchrückentext
„Nach zwanzig Jahren Gefängnis wird die ehemalige RAF-Terroristin Martina Müller 1998 begnadigt. Ihre Tochter Angelika soll ihr nach der langen Haftzeit beistehen, obwohl Martina den Kontakt zu ihr als Kind abgebrochen hat. Die Begnadigung ihrer Mutter stellt Angelika vor eine unerwartete Herausforderung. Hat Martina sich geändert? Empfindet sie Reue für ihre Taten? Um festzustellen, ob die Mutter wieder Teil ihrer Familie werden kann, muss Angelika den Spuren der 68er Jugendrevolution folgen und versuchen zu verstehen, wie aus einer normalen Frau eine Mörderin werden konnte.“

Meine Meinung
Ich habe dieses Buch im Rahmen einer Leserunde gewonnen und gerade bei diesem Thema war der Austausch mit der Autorin und anderen Lesern wirklich hilfreich und wichtig. 

Mich hat dieses Buch wirklich überzeugen können, auch wenn es kein Buch ist, dass man mal eben zwischendurch liest – dafür ist das Thema Terror und RAF einfach viel zu wichtig und regt an sehr vielen Stellen zum Nachdenken an - zumal das Buch aktueller nicht sein kann, 

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen, einmal im Jahr 1998, als die RAF-Terroristin Martina Müller das Gefängnis als freie Frau verlässt, und in den 70er Jahren, als sie die ersten Kontakte zu der späteren Terrorgruppe knüpft, immer tiefer in die Revolution einsteigt bis sie schließlich mit anderen eine Entführung plant und durchführt, bei der mehrere getötet werden und wofür Martina dann schließlich auch mit Haft bestraft wird. Es geht aber auch um die RAF im Allgemeinen, deren Einstellungen und Ideen, aber auch, wie sehr sich diese Ideen wieder verlieren und immer mehr eine Verbesserung der Haftbedingungen von Gruppenmitgliedern im Vordergrund steht bzw. deren Freilassung. Erzählt wird das Ganze aus verschiedenen Perspektiven – es ist mal die Sicht Martinas selbst, mal die ihrer Tochter, die den Kontakt zur Mutter abgebrochen hat, nachdem sie ins Gefängnis gekommen ist, aber auch Opfer und Angehörige von Hingerichteten kommen zu Wort – und nach und nach hat jeder dann auch Kontakt zu den anderen, so dass sich ein interessantes Geflecht von Einstellungen, Meinungen und Handlungen ergibt. Während zu Beginn des Buches die verschiedenen Erzählstränge noch nebeneinander herlaufen, verknüpfen sie sich nach und nach und ergeben am Schluss ein gelungenes großes Ganzes.

Geschickt hat die Autorin dabei die historischen Fakten mit einer fiktiven Geschichte verknüpft, dabei sehr gut recherchiert und die Stimmung der damaligen Zeit hervorragend eingefangen. Ich will nicht sagen, dass ich Martina in allem verstanden habe, insbesondere nicht, warum sie zur Terroristin geworden ist, aber ich konnten einiges gut nachvollziehen, wie sie immer tiefer in diese Gedankenwelt abgetaucht ist und wie es dann letztlich zu der Tat kam, für die sie verurteilt wurde. 

Aber nicht nur Martinas Haltung war interessant, auch die ihrer Tochter und der anderen Figuren. Und wie sie dargestellt wurden, waren die Verzweiflung, der Schmerz und auch die Wut sehr gut spürbar und nachvollziehbar.

Die Geschichte beginnt ruhig, hat aber eine ganze eigene Sogwirklung, die einen immer tiefer reinzieht in diese beklemmende Geschichte, die dann in einem großen Finale mündet und durch einen in keinster Weise vorhersehbaren Schluss überrascht. Zu dieser subtilen Spannung passt auch der eindringliche Schreibstil, der direkt ist und auf den Punkt kommt ohne große Schnörkel und Verzierungen. Es gibt sehr viele Dialoge, manchmal fand ich das angenehm, manchmal jedoch auch eher dröge und anstrengend, und damit meine ich vor allem die politischen Diskussion zwischen den RAF-Beteiligten, die oft mit plakativen Parolen um sich geworfen haben und die in keinster Weise das eigene Handeln in Frage stellten – aber genau so kann ich mir vorstellen, dass es auch gewesen ist, deshalb fand ich diese Passagen zwar anstrengend zu lesen, aber auch sehr interessant.

Insgesamt hat die Autorin mal wieder bewiesen, dass sie exzellent schreiben kann und auch die Kunst besitzt, ein heikles Thema historisch korrekt, aber auch unterhaltsam und fesselnd anzupacken, ein Thema, das aktueller nicht sein könnte – von mir gibt es daher eine absolute Leseempfehlung.

Mein Fazit
Wer sich für den deutschen Herbst interessiert, der sollte sich dieses Buch unbedingt anschauen: Geschickt hat Tanja Kinkel eine fiktive Geschichte mit historischen Gegebenheiten verknüpft, entstanden ist nicht nur ein fesselnder Plot, sonder auch eine interessante Charakterstudie. Der eindringliche und direkte Schreibstil unterstreichen noch mal die Sogwirkung, die das Buch auf mich ausgewirkt hat – bis der Schluss dann einen zwar unvorhersehbaren, aber gelungenen Abschluss bietet. Von mir auf jeden Fall eine klare Leseempfehlung.


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