20. Juni 2019

[Leseeindruck] Imre Kertész - "Roman eines Schicksallosen"

Imre Kertész - Roman eines Schicksallosen
Roman

Verlag: Rowohlt-Verlag
ISBN 13: 978-3-499-25369-0
Seiten: 336 Seiten
Erschienen: 2. November 2009
Originaltitel: „Sorstalanság“
Übersetzer: Christina Viragh

Zum Inhalt 
Der 15-jährige György erzählt aus seiner Sicht von der Deportation nach Ausschwitz und Buchenwald und dem dortigen Lageralltag. Dabei ist seine Art, die Dinge zu erfahren und erleben, eine ganz andere – und beindruckt so auf eine ungewöhnliche Weise.

Meine Meinung
Ich habe schon viele Bücher über den Holocaust gelesen und jedes hat mich auf seine Art berührt. Auch dieses Buch hat etwas in mir ausgelöst – diesmal waren es aber weniger die geschilderten Erlebnisse, sondern vielmehr die Art der Wahrnehmung dessen, was geschehen ist.

Das Erzählte trägt autobiographische Züge, und trotzdem ist es ein Roman. Und was diesen Roman von anderen unterscheidet, ist die Unbedarftheit und Nüchternheit des Erzähltons. Der 15-jährige Ungar György wird nach Auschwitz und Buchenwald deportiert und erzählt seine Eindrücke des Arbeitslagers. Was man dort liest, ist nicht wirklich neu – neu sind jedoch die Distanziertheit des Erzählers und seine Art des Erlebens. Zunächst wirkte es wie eine „Abenteuerreise“ – für alles hat der Ich-Erzähler eine Erklärung, für alles auch Verständnis, egal, ob es um die Selektion an der Rampe geht, das erniedrigende Neu-Einkleiden, Haare scheren oder untersucht und entlaust werden. Erst im Laufe der Erzählung spürt man einen leisen Wandel – die Grundstimmung aber bleibt verständnisvoll und nach Erklärungen ringend. Ca. ein Jahr verbringt der Erzähler in unterschiedlichen Arbeitslagern, bevor er schwer erkrankt und auf nahezu unglaubliche Weise überlebt – sein Wiederankommen in seiner Heimat scheint fast erschreckender als das, was er erlebt hat: Nichts ist mehr wie es war, das Gefühl von Heimat und Glück ist verloren.

Als stilistisches Mittel ist dieses Erzählweise beeindruckend und wirft ein ganz anderes Licht auf den Holocaust – glaubhaft ist mir aber nicht, dass der 15-jährige Erzähler den Ernst der Lage nicht erkannt haben soll. Vielmehr erkläre ich mir seine Sichtweise als einzige Möglichkeit, das Unfassbare irgendwie zu ertragen, indem er den Schrecken beiseiteschiebt und das Erlebte rational begründet, um es in irgendeiner Weise überhaupt aushalten zu können. 

Ich habe das Buch in einem Lesekreis gelesen und der Austausch war sehr bereichernd – denn so wie der junge György die Dinge ganz anders wahrnimmt, so wurde auch dieser Roman ganz unterschiedlich erfahren und empfunden. Auf jeden Fall aber hat er uns ins Gespräch gebracht – und das ist für mich einer der wichtigsten Punkte im Kampf gegen das Vergessen. Bewerten werde ich diese Geschichte nicht, auch wenn sie als Roman deklariert ist – dafür sind mir die biographischen Züge zu ausgeprägt. Auf jeden Fall aber ist dieses Buch empfehlenswert, wenn man mal eine andere Herangehensweise an den Holocaust erleben möchte.


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