[Rezension] Eva Strasser - "Wildhof"

Eva Strasser - Wildhof

Gegenwartsliteratur
 

 Verlag: Klaus Wagenbach Verlag

 ISBN-13: 978-3803133731

 Seiten: 204Seiten

 Ersterscheinung: 26.2.2025

 Umschlaggestaltung: Julie August unter Verwendung eines f farblich bearbeiteten und modifizierten Gemäldes von Otto Marseus van Schrieck ©akg-images

   

Buchrückentext

„Lina reist mit leichtem Gepäck. Denn sie hat nicht vor zu bleiben. Was in ihrem Heimatort auf sie wartet, wiegt schwer. Und dabei weiß sie noch längst nicht alles. Doch weil es summt und leuchtet und duftet im Wald, geht sie nicht in die Knie, sondern weiter.“

Meine Meinung

Ich bin zufällig auf dieses Buch gestoßen und war positiv überrascht von diesem Debütroman, das durch Sprachgewalt und Atmosphäre besticht. 

Nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern kehrt die knapp 30-jährige Lina zurück in ihren Heimatort im Schwarzwald. Sie muss die Beerdigung organisieren und will das Elternhaus verkaufen - und sieht sich dabei einer Vergangenheit gegenüber, die sie lange verdrängt hatte. Das alte Holzhaus am Waldrand war ihr lange ein Ort der Geborgenheit, bis ihre Zwillingsschwester Luisa kurz vor ihrem 13. Geburtstag spurlos verschwand. Seitdem war alles anders – die Familie zerbrach, und Lina hat sich von ihrem Elternhaus abgewandt. 

Es ist kein Buch, in dem chronologisch und klar die Ereignisse erzählt werden. Vielmehr verweben sich Gegenwart, Erinnerungen und Naturbeschreibungen zu einem literarisch hochwertigen Geflecht, in dem die Gedankenwelt der Protagonistin einen großen Raum einnimmt. Die Rückkehr nach Hause wird für Lina zu einer Konfrontation mit alten Wunden – aber auch mit verschütteten Gefühlen, ersten Lieben und dem Trauma der ungelösten Fragen um das Verschwinden ihrer Zwillingsschwester Luisa. Immer wieder gibt es Flashbacks, die durch Kleinigkeiten in der realen Welt ausgelöst werden: Das Bellen eines Hundes, ein alter Fußball am Wegesrand. Und oft verschwimmen hier dann auch die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. 

Lina ist ein etwas sperriger Charakter, bei dem es etwas brauchte, bis ich ihn ins Herz schließen konnte. Sie hat sich eine Art Panzer zugelegt, um ihren Schmerz zu verbergen, so dass sie oft unnahbar, wenig liebenswert und kühl wirkt. Je mehr man sie aber kennenlernt, entdeckt man auch weiche Züge an ihr – und das wiederum macht sie dann greifbar und vor allem auch sympathisch. 

Eine große Stärke des Romans sind der Schreibstil und die Atmosphäre. Das ganze Setting wird lebendig: Der dichte Wald, das Rauschen des Bachs, der Geruch von Moos und Holz – all das schafft eine fast greifbare Atmosphäre, die gleichzeitig poetisch und beklemmend wirkt. Der Schreibstil ist eindrücklich und eigenwillig: Kurze, prägnante Sätze, die dennoch eine große emotionale Tiefe transportieren. Mich hat dieser Stil sehr beeindruckt – mal ist er klar, mal fast schon lyrisch, immer aber sehr dicht und einnehmend. 

Vieles wirkt traumgleich – insbesondere die Rückblenden auf Luisas Verschwinden sind verwaschen, als seien sie durch die Filter von Zeit und Schmerz hindurch erzählt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch manche mystischen Elemente – ich hatte oft den Eindruck, dass Luisa wie ein Geist über allem schwebt und ihrer Schwester „Zeichen“ gibt, um sie an einen bestimmten Ort zu führen. Das kann man sicher aber auch ganz nüchtern und realistisch betrachten – und ich mag, dass die Autorin diese Entscheidung dem Leser selber überlässt. Dieser magisch-realistische Unterton fügt sich sehr gut in die Geschichte ein, ohne sie ins Fantastische abdriften zu lassen.

Über weite Strecken ist „Wildhof“ ein feinfühlig erzählter, sehr atmosphärischer Roman über Verlust, Erinnern und das Ringen um Heilung. Über die Auflösung kann man sicher unterschiedlicher Meinung sein, der Kraft des ganzen Romans und seiner Dichte tut das aber keinen Abbruch. 

Mein Fazit

Ein sprachlich kraftvolles, atmosphärisch dichtes Debüt, das mit lyrischer Klarheit und traumhafter Bildhaftigkeit überzeugt. Es ist eine Mischung aus familiärem Drama, Erinnerung und leiser Magie – und die etwas sperrige Protagonistin lädt ein, sie erstmal besser kennenzulernen. Von mir eine wirkliche Empfehlung!

WERBUNG: Vielen Dank an den Wagenbach-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.