16. Dezember 2024

[Rezension] Astrid Stähler - "Suchbewegungen"

Astrid Stähler - Suchbewegungen
Gegenwartsliteratur
 

 Verlag: Piet Henry Records     
 ISBN-13: 409-9-995-99660-9
 Dauer: 370 Minuten
 Erschienen: 21.11.2024
 Sprecherin: Stefanie Heer

   
Zum Inhalt
„Westberlin 1983. Alex ist achtzehn, und ihr Vater Paul liegt tot in einem Hotelzimmer. In Rückblenden erinnert sie sich: an den Vater, der trank, über die Stränge schlug, übergriffig wurde. Und an die Scham, ihren ständigen Begleiter. Gleichzeitig kommt Paul zu Wort. Er erzählt von seiner schwierigen Kindheit während der NS-Zeit, seinem steilen beruflichen Aufstieg während des Wirtschaftswunders und vom allgegenwärtigen Alkohol als sozialem Bindemittel. Ist die Scham überwunden, jetzt, da Paul tot ist? Und wie verzeiht man jemandem, der nichts wiedergutmachen kann? Eine Geschichte von Schuld und Scham und den Beschränkungen, die uns unsere Zeit auferlegt.“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Aufmerksam geworden auf dieses Hörbuch bin ich durch das minimalistische Cover – dann hat mich der Klappentext angesprochen und schließlich das Hörbuch überzeugt. 

Im Mittelpunkt des Romans stehen Paul und seine Tochter Alex. Das Buch startet im Jahr 1983 – Alex und ihre Mutter werden in ein Hotel gerufen, in dem der Vater Paul tot auf dem Boden liegt – es ist kein Spoiler, dass ich das hier schreibe, denn das passiert in den ersten Minuten des Hörbuch. Wie es zu diesem Tot gekommen ist, erfährt man dann im Folgenden – und mal ist es Alex, die in ihre Vergangenheit zurückblickt, insbesondere auf ihre Beziehung zu ihrem Vater und ihre Gefühlen, denn oft hat sie sich geschämt für ihn, wenn er im Rahmen seiner Alkoholkrankheit über die Stränge geschlagen hat, aber auch in Pauls Vergangenheit wird geschaut, er, der im Nazideutschland der 1930er Jahre groß wird und ein Trauma durch diese Zeit nicht verleugnen kann. Der ganze Roman ist eine Suche nach Erklärungen, Erklärungen für Pauls Sucht, die nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Familie maßgeblich beeinflusst. Dabei wechseln die Perspektiven immer zwischen Paul und Alex, so dass man nicht nur für die Personen selbst ein gutes Gefühl entwickelt, sondern vielleicht auch Erklärungen, warum es gekommen ist, wie es dann nun kam. Am Ende schließt sich der Kreis und man landet wieder im Jahr 1983 – vieles ist klarer geworden durch die Rückblicke in die Vergangenheit, manches in der problematischen Vater-Tochter-Beziehung bleibt aber auch unklar. 

Der Roman macht nachdenklich und liefert interessante Aspekte – gerade Alex Gefühle haben mich sehr mitgenommen, diese Scham, die sie immer wieder verspürt und die natürlich auch ihre Beziehung zum Vater beeinflusst – ich fand es oft schmerzhaft zu hören, wie sehr sie darunter leidet. Aber auch Paul ist ein interessanter Charakter – wer jetzt denkt, einen unsympathischen Alkoholiker kennenzulernen, der irrt – Paul ist durchaus charmant, weiß, mit Menschen umzugehen, unter Alkoholeinfluss aber sagt er oft Dinge, die unangenehm und peinlich sind, distanzlos, ohne dass er aber zudringlich wird. Seine Kindheit und Jugend in der später ausklingenden Nazizeit hat Spuren hinterlassen, auch wenn er sich das selbst so gar nicht zugestehen mag – diese transgenerationale Weitergabe von Traumata ist ein interessanter Punkt, über den ich schon viel nachgedacht habe und der auch in diesem Roman eine wichtige Rolle spielt. Dabei bedient sich die Autorin in ihrem Erstlingswerk einer eher klaren Sprache, die keine Schnörkel braucht, um die Gedanken- und Gefühlswelt von Alex und Paul darzustellen. Die Stimme von Stefanie Heer passt hervorragend zu diesem etwas nüchternen Schreibstil und hat mich von Anfang an in ihren Bann gezogen. 

Ein schwieriges Thema, aber ein wichtiges – ich empfehle diesen Debütroman gerne weiter. 


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