24. Juli 2022

[Rezension] Ingebjørg Berg Holm - "Wütende Bärin"

Ingebjørg Berg Holm - Wütende Bärin
Gegenwartsliteratur
 

Originaltitel: „Rasende Binne“ (Januar 2021)
Übersetzer: Gabriele Haefs, Andreas Brunstermann
Verlag: KJM-Verlag
ISBN-13: 978-3-961-94182-7
Seiten: 358 Seiten
Erschienen: 1. Juli 2022
Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Umschlagabbildung: Shutterstock // Nick Epifanow ginger_polina_bublik / Morphart Creation

   
Buchrückentext
„Was ist mit der Tochter von Nina und Njål geschehen? Sie sind deshalb #nicht mehr zusammen. Wie ein kalter Nebel zieht die Ungewissheit über das vergangene Geschehen durch das Buch und ist zugleich der Vorschein auf das Kommende, das hoch im Norden, in der fast vollkommenen Dunkelheit der Polarnacht auf Spitzbergen, geschehen wird.“

Meine Meinung
In einer Verlagsvorschau wurde ich auf das Buch aufmerksam, da als Thema eine Reise nach Spitzbergen angegeben war; ja, es gibt im letzten Viertel des Buches auch diese Reise, aber vielmehr ist es die Darstellung eines komplizierten Beziehungsgeflechtes mit vielen aktuelle Themen – und auch wenn das Buch ganz anders war als erwartet, hat es mich sehr begeistert. 

Der Prolog könnte denken lassen, dass es sich um einen Kriminalroman handelt, denn es wird eine Leiche im Schnee beschrieben. Dann aber wechselt die Szenerie: Die Geschichte wird von drei unzuverlässigen Ich-Erzählern erzählt, die acht Monate vor dem Prolog im kalten Bergen in Norwegen beginnt. Nina und Njål haben ein gemeinsames Kind, Lotta, als Paar aber sind sie getrennt und stecken in einem schwierigen Sorgerechtsstreit. Sol ist die Ex-Partnerin von Njål – sie wünscht sich nichts sehnlicher als eigene Kinder, kann aber keine bekommen. Der immer noch gute Kontakt zu Njål intensiviert sich mit der Zeit, und auch Lotta mag Sol sehr gerne. Jeder der drei hat eigene Interessen und jeder der drei auch eine eigene Wahrnehmung der Realität. Das Jugendamt kann keine schnelle Entscheidung treffen, da schwere Vorwürfe im Raum stehen, die erst geprüft werden müssen – und so gehen Nina und Njål mit Lotta nach Spitzbergen, um sich der Situation zu entziehen. 

Das Buch hat einen ungeheuren Sog auf mich ausgeübt, was vor allem der Sprache geschuldet ist, aber auch den Charakteren, bei denen ich bis zum Schluss nicht sagen kann, wer mir nun eigentlich sympathisch ist und wer nicht. Die Sprache ist intensiv, eindringlich, sehr klar und direkt, dann aber auch wieder magisch und lyrisch. Mich hat sie direkt gepackt, auch die Direktheit und Offenheit, mit der die Autorin schwierige Themen anspricht: Es geht um unerfüllten Kinderwunsch und postpartale Depression, aber auch um Missbrauch, Wahn und Psychosen, um Liebe und Macht, Dominanz und Unterwerfung. Jeder der drei Hauptfiguren kommt dabei abwechselnd zu Wort – und alle drei erweisen sich als unzuverlässige Erzähler. 

Liest man Ninas Eindrücke und Gedanken, meint man, die Situation zu verstehen und spürt den Schmerz und die ihr mitgespielte Ungerechtigkeit. Kommt dann aber Njåls Perspektive ins Spiel, sieht man Nina mit ganz anderen Augen und entwickelt Sympathien für den Vater, der sich scheinbar besser um Lotta kümmern kann. Nina wirkt immer ein wenig hilflos, gerade wenn es um ihre Tochter geht, und überhaupt nicht wie eine fürsorgliche liebende Mutter, geht es aber um ihren Job, wird aus Nina eine kämpfende und selbstbewusste Frau. Njål wirkt im Umgang mit Lotta sehr fürsorglich und auch sein Bedürfnis, eins zu sein mit der Natur und sich daher in seiner Freizeit einer Wikinger-Gruppe anzuschließen, hat mich beeindruckt – sein Umgang dann aber mit seiner Ex-Freundin Sol hat mich wiederum erschüttert, genauso wie manche Gedanken und scheinbar auch Bedürfnisse in Bezug auf seine Tochter. Und so sind meine Gefühle für die Eltern sehr zwiegespalten, beide haben tolle Seiten, aber auch sehr verwerfliche Gedanken – sie sind mit ihren ganzen Ecken dn Kanten durchaus authentisch, aber auch erschreckend durch ihre gnadenlose Darstellung und ihre tiefgreifende Ehrlichkeit. 

Im letzten Viertel spitzt sich die Situation immer weiter zu und gleicht fast schon einem Thriller – die Situation eskaliert und am Ende war ich schockiert, hatte aber auch einige für mich offene Fragen. Zum Glück ist mir dann aber wieder der Prolog eingefallen, der alles auflöst und so den allumfassenden Kreis schließt.

Ich fand das Buch wirklich großartig, an einigen Stellen waren mir Beschreibungen, insbesondere wenn es um Sexualität ging, dann aber doch zu plakativ. Dafür ziehe ich einen halben Stern ab und gebe 4,5 von 5 Sternen. 

Mein Fazit
Ein intensives Buch mit schwierigen und ernsten Themen, erzählt von drei unzuverlässigen Ich-Erzählern, mit denen ich gefühlt habe, bei denen ich aber auch hin –und hergerissen wurde. Ich gebe 4,5 von 5 Sternen.
WERBUNG: Vielen Dank an den KJM-Verlag und an Buchcontact für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

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