27. Oktober 2021

[Leseeindruck] T. C. Boyle – "Das wilde Kind"

T. C. Boyle – Das wilde Kind
historischer Roman
 

Originaltitel: „Wild Child“
Übersetzer: Dirk van Gunsteren
Verlag: dtv
ISBN-13: 978-3-423-14065-2
Seiten: 107 Seiten
Erschienen: 1. Februar 2012
Umschlaggestaltung: Lisa Helm unter Verwendung eines Fotos von gettyimages /Science Faction 

   
Buchrückentext
„Als der Bauer auf etwa zwanzig Meter herangekommen war, hob der Junge den Kopf und sah ihn an… Eine unnatürliche Stille lag über dem Land: Die Vögel in den Hecken hielten den Atem an, der Wind erstarb, ja selbst die Insekten verstummten.“

Meine Meinung
Schon lange will ich etwas von T.C. Boyle lesen, diese Novelle hat mich wegen des Themas angesprochen. Angelehnt an Kaspar Hauser steht ein Mensch im Mittelpunkt, der im Wald fernab jeder Gemeinschaft groß wird, dann aber in die Fänge von Wissenschaftlern gerät, die versuchen, ihn zu zähmen und zu einem Menschen in ihren Augen zu machen.

Das Thema ist nicht neu, trotzdem konnte mich der Autor mit dieser kurzen Geschichte, die im 18. Jahrhundert spielt, fesseln. Es hat mir gefallen, über diese unterschiedlichen Wesen und Ansprüche an das Leben zu lesen. Der eine wird als Kind ausgesetzt und wächst fernab jeglicher Gemeinschaft in den Wäldern auf, er lernt zu überleben, weiß aber weder, sich zu verständigen noch kennt er Geborgenheit, Zuneigung oder Freundschaft – einzig das Befriedigen tief sitzender Bedürfnisse  macht sein Leben aus, und trotzdem ist er eins mit sich. Die anderen leben in sozialer Gemeinschaft und können andere Lebensformen nicht akzeptieren – sie versuchen, den Jungen zu bändigen, zu zähmen und in eine Form zu pressen, die sie meinen, dass notwendig ist. Doch kann man einen Menschen zwingen, nach einem Schema zu leben, wenn ein gewisser Punkt überschritten ist?

Die Geschichte ist düster und die Atmosphäre die ganze Zeit melancholisch – auf der einen Seite hatte ich Mitleid mit dem ausgesetzten Jungen, der nachher Victor genannt wird, der nicht weiß, was ihm als eigentlich doch soziales Wesen entgeht, der aber seine Freiheit zu verteidigen versucht – egal ob aus Unwissenheit oder aus Instinkt heraus. Auf der anderen Seite waren da die Wissenschaftler, die ein solches Leben nicht akzeptieren können und auf unterschiedlichste Arten versuchen, Victor zu erziehen und ihm eine in ihren Augen menschliche Lebensweise zu ermöglichen. Unterschiedlichere Lebenswelten können gar nicht aufeinanderprallen, aber steht es einem Menschen zu, dem anderen seine Vorstellungen überzustülpen? Mich hat diese Novelle zum Nachdenken gebracht, denn das Problem ist zeitlos und auf viele auch aktuelle Situationen übertragbar. 

Die Sprache hat mir sehr gefallen; sie ist der Zeit angepasst und kann die düstere Atmosphäre, die Verzweiflung, die bei allen Figuren herrscht, sehr gut einfangen. Ich mochte diese Novelle gerne, nur das Ende hat mich ein wenig enttäuscht, weil es mich mutlos und traurig zurückgelassen hat. Ich gebe diesem Büchlein 3,5 von 5 Sternen.  

Mein Fazit
Eine kurze Geschichte, die das Thema „Kaspar Hauser“ behandelt und mich zum Nachdenken angeregt hat. Beeindruckt haben mich die Sprache und die Atmosphäre, nur der Ausgang der Novelle hat mir nicht gefallen. Ich gebe 3,5 von 5 Sternen.

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