30. Juni 2016

[Leseeindruck] Wolfgang Herrndorf - "Arbeit und Struktur"

Wolfgang Herrndorf - Arbeit und Struktur
Wahre Geschichte

Verlag: Rowohlt-Verlag
Umschlaggestaltung: Anzinger | Wüschner | Rasp. München
Umschlagabbildung: Jacob Isaachszoon van Ruisdael, „Ansicht von Haarlem mit Bleichfeldern“, ca. 1650 – 1682 /Rijksmuseum, Amsterdam
ISBN-13: 978-3-871-34781-8
Seiten: 447 Seiten
Erschienen: 6.12.2013
Verfügbar auch online unter: http://www.wolfgang-herrndorf.de/

Zum Inhalt 
„Dann Telefonat mit einem mir unbekannten, älteren Mann in Westdeutschland. Noch am Tag der Histologie war Holm abends auf einer Party mit dem Journalisten T. ins Gespräch gekommen, dessen Vater ebenfalls ein Glioblastom hat und noch immer lebt, zehn Jahre nach der OP. Wenn ich wolle, könne er mir die Nummer besorgen. Es ist vor allem dieses Gespräch mit einem Unbekannten, das mich aufrichtet. Ich erfahre: T. hat als einer der Ersten in Deutschland Temodal bekommen. Und es ist schon dreizehn Jahre her. Seitdem kein Rezidiv. Seine Ärzte rieten nach der OP, sich noch ein schönes Jahr zu machen, vielleicht eine Reise zu unternehmen, irgendwas, was er schon immer habe machen wollen, und mit niemandem zu sprechen. Er fing sofort wieder an zu arbeiten. Informierte alle Leute, dass ihm jetzt die Haare ausgingen, sich sonst aber nichts ändere und alles weiterliefe wie bisher, keine Rücksicht, bitte. Er ist Richter. Und wenn mein Entschluss, was ich machen wollte, nicht schon vorher festgestanden hätte, dann hätte er nach diesem Telefonat festgestanden: Arbeit. Arbeit und Struktur.“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Biografische Bücher oder Erfahrungsberichte bewerte ich ja nicht, da es mir nicht zusteht, das Leben anderer zu „benoten“ – und so halte ich es auch mit diesem Buch, in dem ja Herrndorfs Blogeinträge, die er während seiner Erkrankung an einem bösartigen Hirntumor verfasst hat, veröffentlicht wurden. 

Das Buch ist sicherlich nicht für jeden etwas, nicht nur, weil es als reines Tagebuch oder eben Blog geführt wurde, sondern auch, weil der Stil Herrndorfs sehr eigen ist. Er schreibt, was er denkt - umgangssprachlich, ohne auf Formulierungen zu achten. Mal ist das Geschriebene traurig, mal voller Humor, mal sehr ernst, dann wieder sehr wirr – und manchmal auch einfach ganz normal. Dadurch wird das Buch sehr authentisch – und als Leser wird man Teil der Gedanken und Gefühle Herrdorfs. Natürlich kann ich mich nicht hineinversetzten in die Situation, an einem tödlich verlaufenden Glioblastom zu erkranken, aber Herrndorfs Stimmungen und Gedanken kann man durch diesen Blog sehr gut fühlen, seine Wut, seine Verzweiflung und vor allem auch seine schon sehr früh einsetzenden Gedanken rund um seinen Tod – fest steht für ihn, dass er die Wahl haben den Zeitpunkt selber wählen möchte, so dass er sich früh über verschiedene Möglichkeiten informiert und sich – auch schon früh – für eine entscheidet. 

Dass Herrndorf sich während seiner verbliebenen Zeit vor allem der Arbeit und seinen Büchern widmen wollte, hat mich erstaunt – zugegebenermaßen wusste ich aber auch nicht, dass „tschick“ (das mir sehr gut gefallen hat) und „Sand“ in dieser Zeit entstanden bzw. fertiggestellt wurden. Aber so ist jeder Mensch anders – die einen machen noch eine Weltreise, die anderen verbringen Zeit mit Familie und Freunden und wieder andere arbeiten. 

Mich hat das Buch berührt, auch wenn ich zugeben musste, dass es in der Mitte des Buches für mich auch einen „Hänger“ gab, wo mich die Einträge dann nicht mehr so fesseln konnten. Man weiß ja, wie das Buch endet und irgendwie habe ich da auch mehr „Anspielungen“ erwartet – dass Herrndorf am Ende doch konkreter wird mit seinen Plänen. Doch die gab es nicht, so dass bei mir der Eindruck entstanden ist, er habe seinen Suizid dann doch sehr spontan durchgeführt, einfach weil er merkte, dass er körperlich zusehends verfällt und er Sorge hatte, es zu einem späteren Zeitpunkt einfach nicht mehr in der Lage dazu sein wird. 

Mein Fazit
Ein bedrückendes Buch, einfach weil man als Leser weiß, wie es endet – und trotzdem war es interessant zu lesen, wie Herrndorf mit seiner Erkrankung umgeht, was er in dieser über dreieinhalb Jahren dauernden Zeit denkt und fühlt. Man sollte keine in der Formulierung gefeilten Texte erwarten, sondern hier schreibt jemand, wie es ihm gerade einfällt – und mit fortschreitender Erkrankung merkt man dabei auch seinen zunehmenden körperlichen wie auch geistigen Verfall. Ein beeindruckendes Buch. 

2 Kommentare:

  1. Eine sehr schöne Rezension! *geht erstmal kurz nach Worten suchen*
    Wir haben "tschick" damals in der Schule gelesen. Mich sprach der Schreibstil ehrlich gesagt nicht wirklich an. Auch die Handlung war ... okay. Als ich dann "Sand" im Buchladen liegen sah, wurde mein Interesse geweckt. Schon der Einband - das mag jetzt vielleicht etwas verrückt klingen - wirkte auf mich bedrückend und verloren.
    Dann erfuhr ich von Wolfgang Herrndorfs Suizid und ich begann "Sand" zu lesen (oder so ähnlich) und stellte erstaunt fest, dass die Hauptperson wirklich viel mit seiner damaligen Lebenssituation gemeinsam hat.
    Als er dann in "Arbeit und Struktur" beschrieb, dass er nach der Diagnose erst einmal "tschick" beendete, dachte ich mir, dass ich große Lust hätte, das Buch nochmal zu lesen.
    Als ich damals für meine Rezension zu "Arbeit und Struktur" recherchierte, habe ich auch mal den originalen Blog besucht, einfach nur um auf Nummer sicherzugehen, dass kein Eintrag in der Buchform vergessen wurde.
    viele Grüße
    Emma

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    1. AQls ich "tschick" gehört habe, wußte ich nichts von Herrrndorfs Errkanung - und ich glaube, ich würde die Geshcihte jetzt nach "Arbeitund Struktur" auch mit anderen Augen betrachten. Bei "Sand" bin ich noch unschlüssig, ob ich es lesen soll - ich werde wohl mal in eine Leseprobe reinschmökern, da mir der Schreibstil Herrndorfs manchmal zu schnodderig ist - aber das kann im Buch ja auch ganz anders sein.

      Den Original-Blog habe ich mir angeschaut - und irgendwie läuft mir dann immer ein Schauer über den Rücken ...

      LG Sabine

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