7. September 2015

[Rezension] Vera Buck - "Runa"

Vera Buck - Runa
Historischer Roman

Verlag: Limes
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
Umschlagabbildung: Trevillion Images /Jake Olson; www.buerosued.de
ISBN-13: 978-3-809-02652-5
Seiten: 608 Seiten
Erschienen: 24. August 2015

Zum Inhalt 
Paris, 1884. Die neurologische Abteilung der Salpêtrière-Klinik ist berühmt für ihre Experimente mit hysterischen Patientinnen und ihre Hypnosevorführungen mit dem über die Grenzen bekannten Dr. Charcot. Der Medizinstudent Jori Hell möchte seine Doktorarbeit an dieser bekannten Klinik schreiben, nur ein Thema ist ihm noch nicht eingefallen. Als das kleine Mädchen Runa eingeliefert wird, die auf keine Behandlungsmethode anzusprechen scheint, sieht er seine Chance gekommen: Er will als Erster der Medizingeschichte ihr Gehirn eröffnen und den Wahnsinn hinaus schneiden.

Meine Meinung 
Das Cover hat mich total angesprochen und der Klappentext klang interessant – doch im Nachhinein muss ich sagen, dass ich nicht empfehlen würde, ihn zu lesen. Denn er verrät viel zu viel und vermittelt auch einen falschen Eindruck vom Buch. Ich dachte, es handle sich um einen spannenden Abenteuerroman im historischen Paris, jedoch bekommt man mit dieser Geschichte weit mehr – es ist eine Kombination aus interessanter Medizingeschichte und fesselndem Abenteuer, man muss aber gerade am Anfang durchaus einen langen Atem haben, bis es tatsächlich spannend wird. 

Der Einstieg in die Geschichte ist für einige Leser sicherlich gewöhnungsbedürftig, ich dagegen fand ihn durchaus interessant. Die Autorin entführt den Leser in die Salpêtrière-Klinik, eine neurologische Klinik in Paris, in der Ende des 19. Jahrhunderts unzählige Experimente mit hysterischen Patienten durchgeführt wurde. Dr. Jean-Martin Charcot ist der Leiter der Klinik, bekannt vor allem für seine Hypnosevorstellungen mit den Patienten, durch die er nicht nur Studenten, sondern auch Ärzte aus ganz Europa anlockt. Man nimmt als Leser teil an diesen Vorlesungen, die es tatsächlich auch gegeben hat, lernt vieles über die damaligen Vorstellungen über psychiatrische Erkrankungen, bekommt damalige Therapieoptionen erklärt und lernt natürlich auch den Protagonisten Jori kennen, der an der Salpêtrière seine Doktorarbeit machen will.

Für medizinisch nicht so Interessierte könnte dieser Einstieg, der mindestens ein Drittel des Buches einnimmt, vielleicht etwas langatmig werden, ich aber fand es interessant, oft aber auch sehr erschreckend, wie man mit diesen kranken Menschen umgegangen ist und wie man ihnen einen eigenen Willen völlig abgesprochen hat. Es werden in diesem langen Einstieg viele Figuren vorgestellt – zum Teil sind es historische Persönlichkeiten, zum Teil erdachte Personen, und die Autorin hat Wahrheit und Fiktion so geschickt miteinander verknüpft, dass man als Leser einen Unterschied kaum merkt.  

Neben dem Erzählstrang rund um die Klinik gibt es noch weitere Handlungsstränge, die ich zunächst sehr verwirrend fand. Da taucht ein Geschwisterpaar auf, das irgendwas entdeckt zu haben scheint, es gibt einen Ex-Polizisten, der nach einer verschwundenen Frau suchen soll, einen Ich-Erzähler, der mit seinem Vater Ärger hat und noch anderen Figuren, die ich zunächst nicht einordnen konnte und wo man sich fragt, wie diese verschiedenen Erzählstränge zusammenhängen. Und es dauert lange, bis sich die Knoten entwirren und die Fäden nach und nach zusammenlaufen.

Richtig Fahrt nimmt die Geschichte eigentlich erst in der zweiten Hälfte des Buches auf – da wird es dann auch spannend und fesselnd und der Schwerpunkt des Buches verlagert sich auf die eigentliche Geschichte, nämlich auf das, was mit der kleinen Runa geschehen soll bzw. was mit ihr schon geschehen ist. Obwohl ich die erste Hälfte sehr interessant fand, war sie durch die detaillierten Beschreibungen medizinischer Sachverhalte oder auch der Vorlesungen auch etwas langatmig – die zweite Hälfte dagegen war dann spannend und es kommt richtig Leben in die Geschichte, der sonst eher zurückhaltende Jori, der sich gerne hinter anderen versteckt, wird aktiv und die Handlung wird vorangetrieben.

Die Charaktere sind alle gut gezeichnet und trotzdem habe ich zu keinem eine richtige Bindung aufbauen können – zum einen, weil sie einfach sehr skurril und eigen waren, zum anderen, weil ich viele der Gedanken und Handlungen (aus heutiger Sicht) einfach nicht verstehen und nachvollziehen konnte. Gerade mit dem Protagonisten Jori ging mir das so – seine Idee, auch wenn sie unreflektiert und aus der Not heraus geboren wurde - war für mich einfach indiskutabel, zudem aber war Jori insgesamt sehr defensiv, konnte sich bei kaum etwas durchsetzen und hat sich immer nur durch die Meinungen anderer treiben lassen. Es hat lange gebraucht, bis er selbst mal was in die Hand genommen hat – und mir hat diese Passivität überhaupt nicht gefallen. Das kleine Mädchen Runa, nachdem das Buch ja benannt wurde, spielt zwar eine wichtige Rolle, taucht aber selber nur selten in der Geschichte auf – von ihren Gedanken erfährt man zudem leider gar nichts und auch am Ende bleiben in Bezug auf ihre Figur viel zu viele Fragen offen – das fand ich sehr schade.

Der Schreibstil vermittelt sehr eindrücklich die Atmosphäre, die damals in dieser neurologischen Klinik herrschte. Und obwohl er mir dieses „historische Gefühl“ vermittelt hat, bleibt er angenehm zu lesen. Es gibt viele Beschreibungen – gerade in der ersten Hälfte der Geschichte – die ich zum Teil dann doch etwas zu detailliert fand, so dass einzelne Kapitel wirklich langatmig wurden, trotzdem aber waren sie sehr interessant und informativ. Man merkt, dass die Autorin exzellent recherchiert hat – und das nicht nur wegen der angehangenen langen Literaturliste.

Mir hat das Buch insgesamt gut gefallen, ich denke aber, dass es nicht für jeden etwas ist. Man sollte schon Interesse an Medizingeschichte haben, um Gefallen an diesem Buch zu finden, sonst könnte gerade die erste Hälfte sehr langatmig und auch langweilig werden. Denn ein reiner Abenteuerroman, wie vielleicht der Klappentext einen denken lässt, ist dieses Buch ganz sicher nicht.  

Mein Fazit
Man sollte wissen, dass es in diesem Buch nicht nur um eine fiktive Abenteuergeschichte geht, sondern dass gerade in der ersten Hälfte sehr ausführlich über interessante Kapitel der Medizingeschichte geschrieben wird – wenn man sich damit anfreunden kann, ist „Runa“ eine interessante und auch fesselnde Geschichte, die sich sehr gut lesen lässt und neben vielen Details und Informationen über die neurologische Abteilung der Salpêtrière-Klinik auch eine packende Geschichte um die kleine Runa liefert. Von meiner Seite gibt es knappe 4 von 5 Sternen.


Das kostenlose Leseexemplar wurde mir vom Limes-Verlag sowie von Blogg dein Buch zur Verfügung gestellt - vielen Dank dafür! 

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