16. Juni 2025

[Rezension] Dan Simmons - "Der Berg"

Dan Simmons - Der Berg
Historischer Roman
 

Originaltitel: „The Abominable“ (2013)
Übersetzer: Friedrich Mader
Verlag: Heyne-Verlag
ISBN-13: 978-3-453-41849-3
Seiten: 766 Seiten
Erschienen: 12.10.2015
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design, München, nach einer Idee von Allison J. Warner
Umschlagabbildung: © Karl Maret /Corbis

   
Buchrückentext
„Wir schreiben das Jahr 1924. Auf der Nordostseite des Mount Everest machen sich die beiden britischen Bergsteiger George Mallory und Andrew Irvine auf den Weg zum Gipfel – und verschwinden spurlos. Bis heute weiß man nicht, was damals geschehen ist. Führten die schlechten Wetterbedingungen zum Scheitern der Expedition? Lag es an der mangelhaften Ausrüstung der beiden Bergsteiger? Oder war vielleicht etwas dort oben bei ihnen auf dem Berg? Etwas Tödliches…“ 

Meine Meinung
Ich habe ja ein Fable für Geschichten, die auf dem Mount Everest spielen – obwohl ich selber überhaupt keine Bergsteigern bin. Klar, dass ich dann auch zu diesem Buch greifen musste. 

Das Buch beginnt im Jahr 1924. George Mallory und Andrew Irvine wollen als Erste den Mount Everest besteigen, aber sie verschwinden spurlos  - ob sie jemals oben ankamen, ist bis heute ungeklärt. Ein Jahr nach dem Verschwinden der beiden begibt sich der fiktive Bergsteiger Richard Deacon mit einem kleinen Team erneut auf Expedition – offiziell, um dem Geheimnis der Vermissten auf die Spur zu kommen, inoffiziell jedoch auch, um den höchsten Gipfel der Welt selbst zu erobern. Doch was als ambitioniertes Abenteuer beginnt, entwickelt sich zunehmend zu einer düsteren, albtraumhaften Odyssee: In den eisigen Höhen scheint nicht nur das Wetter tödlich zu sein. Mysteriöse Zwischenfälle lassen Zweifel aufkommen, ob auf dem Berg nicht etwas lauert, das sich einer rationalen Erklärung entzieht…

Dan Simmons schafft es meisterhaft, Atmosphäre zu erzeugen – der Stil ist lebendig, dicht und voller eindringlicher Bilder. Man spürt die Kälte, die Erschöpfung, das Ringen um Atem in der dünnen Luft. Gleichzeitig nimmt sich der Autor viel – vielleicht zu viel – Zeit, um seine Figuren einzuführen und die Ausgangslage darzustellen. Die erste Hälfte des Buches ist doch etwas langatmig geraten durch viele detaillierte Beschreibungen von Ausrüstung, Kleidung, Verpflegung und topographischen Gegebenheiten, die zwar interessant, aber für den Handlungsverlauf oft nur bedingt relevant sind. Manche Informationen, wie etwa das immer wieder beschriebene „Wunderseil“ von Deacon, werden dann auch noch mehrfach wiederholt – das macht es natürlich nicht besser. 

Spannend wird es schließlich in der zweiten Hälfte, wenn die Expedition endlich am Berg eintrifft. Die Schilderungen der Besteigung sind intensiv, bildgewaltig und emotional packend – echte „Mount-Everest-Vibes“, die mich beim Lesen haben frösteln lassen. Leider kippt der Roman im letzten Drittel jedoch erneut – diesmal in Richtung spektakuläre Verfolgungsjagd. Sie wirkt sehr konstruiert, vor allem aber unglaubwürdig, und die Einbindung eines Nazikomplotts mit abstrusem Motiv (Stichwort: belastende Bilder von Hitler) hätte es nicht gebraucht. Aber: Die Verfolgung war spannend, auch wenn ich wegen der Unglaubwürdigkeit oft mit den Augen rollen musste. Die im Klappentext angedeutete Mystik ist schnell aufgelöst – da hatte ich wirklich Sorge, dass es zu phantastisch wird, aber ich kann beruhigen: wird es nicht.

Was den Roman trägt, sind neben dem tollen Schreibstil die Figuren. Dan Simmons versteht es, seine Charaktere glaubwürdig und vielschichtig zu zeichnen. Man lernt sie auf ihrem Abenteuer in ganz verschiedenen Situationen kennen, ihre Vorzüge und positiven Charaktereigenschaften, aber natürlich auch ihre Ecken und Kanten. Ich habe sie gerne begleitet und gerade im letzten Drittel auch mitgefiebert, auch wenn die Geschichte ins Abstruse abgleitet.

Mein Fazit
Es ist fast schon ein Roman mit zwei Gesichtern: Auf der einen Seite ein großartig erzählter, atmosphärisch dichter Abenteuerroman mit historischer Grundlage, faszinierenden Figuren und eindrucksvoller Sprache. Auf der anderen Seite ein überfrachtetes Konstrukt, das sich nicht entscheiden kann, ob es Mystery, Thriller oder Bergdrama sein will. Die langatmige Einleitung hat mich schon Geduld üben lassen, und einige erzählerische Wendungen wirken bemüht oder schlicht unnötig. Trotzdem hatte ich intensive Leseerlebnisse, spürte die eisige Gefahr des Everest und wurde phasenweise völlig in die Geschichte hineingezogen. Die absurde Verfolgungsjagd mit einem mir zu konstruierten Motiv hätte ich dagegen nicht gebraucht. Empfehlen kann ich das Buch daher nur eingeschränkt, auch wenn es mich in Teilen wirklich sehr begeistern konnte. 


4 Kommentare:

  1. Hallo Sabine,

    ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich dich mit meinen Bergbesteigungen angesteckt habe. XD

    Ja, die Atmosphäre war top. Total spannend ist auch, wie gut das damalige Bergsteigen beschrieben wurde. Allein die Details um die Ausrüstung fand ich interessant. Vor allem, wenn man modernere Bücher kennt. Da fragt man sich schon, wie die es da wirklich rauf geschafft haben wollen.

    Bei der Verfolgungsjagd bin ich ganz bei dir. Die war vollkommen unnötig.

    Auf welchen Berg geht es als nächstes?

    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Hi Nicole,

      im Moment bin ich wirklich total im Bergfieber - habe jetzt "In eisige Höhen" nochmal gehört, damit ich es mit Boukreevs "Der Gipfel", das ich gerade lese, besser abgleichen kann. Und ich hatte im Juni noch ein Everest Buch (Das größere Wunder). Ich bin aber tatsächlich fast immer auf dem Everest unterwegs...

      Ich habe mich auch immer gefragt, wie die das früher gemacht haben, ohne spezielle Goretex-Jacken, mit gestrickten Socken und Pullovern - kaum vorstellbar. Und das hat er wirklich gut beschrieben.

      Kennst du auch "Berg der Legenden" von Jeffrey Archer? Da geht es um Irvine und Mallory.

      LG Sabine

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    2. Hallo Sabine,

      super, danke dir gleich für den Tipp "Berg der Legenden". Das kannte ich tatsächlich noch nicht, obwohl ich immer wieder mal recherchiere.

      "Der Gipfel" habe ich auf der Merkliste, denn das wäre nach "In eisige Höhen" wirklich interessant. Bin gespannt, was du beim direkten Vergleich sagst.

      "Das größere Wunder" habe ich vor längerer Zeit gehört.

      Liebe Grüße & schönen Sonntag
      Nicole

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    3. Berg der Legenden ist sehr unterhaltsam - gibt einem aber weniger das Gefühl einer Romanbiographie als denn eines Abenteuerromans. "Der Gipfel" lese ich gerade - und bisher überzeugt es mich mehr als Krakauer ... Aber ich habe noch zwei Drittel vor mir.

      LG Sabine

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