12. November 2024

[Rezension] Alessandro D'Avenia - "Der blinde Lehrer"

Alessandro D'Avenia - Der blinde Lehrer
Gegenwartsliteratur
 

Originaltitel: „L’Appello“ (2020)
Übersetzerin: Verena von Koskull
Verlag: btb-Verlag
ISBN-13: 978-3-442-77470-8
Seiten: 400 Seiten
Erschienen: 16.10.2024
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Umschlagabbildung: ©shutterstock.com (Veerapon Dookgathoom, Konoplytaska, Chansom Pantip)

   
Buchrückentext
„Omer Romeo wird als Vertretungslehrer für Naturwissenschaften in eine römische Schule berufen. Seine Schüler*innen gelten als hoffnungslose Fälle und stehen kurz vor den Abiturprüfungen. Eine Herausforderung für Omer, der erblindet ist und nicht weiß, ob er zukünftig weiter als Lehrer gebraucht wird. Da er nicht in der Lage ist, die Gesichter und Emotionen der Jugendlichen zu sehen, lässt er sie ihre Geschichte erzählen – und beginnt so eine kleine Revolution…“ 

Meine Meinung
Mich hat der Autor mit zwei anderen Büchern schon sehr begeistert – daher war ich neugierig auf dieses Buch. Die Sprache hat mich wieder gefangen, die Entwicklung der Geschichte hat mich nicht ganz überzeugt. 

Im Mittelpunkt steht der 45-jährige Lehrer Omer Romeo, der seit seiner erworbenen Blindheit nicht mehr unterrichtet hat. Dies will er nun ändern und nimmt das Angebot an, Naturwissenschaften in einer Abiturklasse zu lehren, in der die Schüler und Schülerinnen als herausfordernd gelten. Da er seine neuen Schützlinge nicht sehen kann, beginnen seine Stunden immer mit einem sogenannten „Appell“ – jeder Schüler soll etwas über sich erzählen und Omer wiederum berührt ihre Gesichter mit seinen Händen – und baut so nicht nur eine ganz besondere Beziehung zu ihnen auf, sondern ruft unbewusst auch eine Art Revolution ins Leben.

In dem Buch bedient sich der Autor verschiedener Erzählweisen. Mal ist es der Lehrer selber, der als Ich-Erzähler beschreibt, was geschieht, mal sind es die Stimmen der Schüler, die von sich erzählen und dann wieder gibt es Tagebucheinträge von Omer – und jede der gewählten Erzählweisen hat auch eine eigene Erzählstimme. Bei den Schülern merkt man schnell, wer gerade spricht, nicht durch das, was sie erzählen, sondern wie sie es tun – und so lernt man als Leser jeden einzelnen gut erkennen und auch kennenlernen. Jeder hat eine eigene Geschichte, allen gemein ist aber, dass sie genau damit hadern und so zu „herausfordernden Schülern“ werden. 

Omer Romeo ist ein sympathischer Protagonist, der vor allem aber durch seine Überzeugungen besticht – er glaubt fest an sein Ritual, das bei seinen zunächst skeptischen Schülern dann doch auf Begeisterung stößt, bei Eltern und Kollegen jedoch auf Gegenwehr. Und trotzdem hält er daran fest – und durch seine eigene Überzeugung kann er auch seine Zöglinge begeistern, so sehr, dass daraus eine Art Revolution wird, bei der die Schüler die Pädagogik an Schulen kritisieren, in der nur Leistung und Lehrstoff zählen, nicht aber die Menschlichkeit und die Beziehungen zueinander. 

Mit den Schülern hatte ich meine Probleme, nicht weil sie unsympathisch waren, aber für mich waren sie nicht authentisch. Als Abiturienten sollten sie ca. 17-18 Jahre alt sein, auf mich wirkten sie am Anfang der Geschichte aber viel jünger, irgendwie unbedarft und mehr wie „bockige Kinder“. Das ändert sich im Verlauf, weil sie sich auf den morgendlichen Appell einlassen – dann aber werden die eigenen morgendlichen Erzählabschnitte insofern unglaubwürdig, weil sie so philosophisch und wissenschaftlich werden, dass ich es kaum diesen Schülern abnehme, so zu reden. Schön war aber die emotionale Entwicklung, die sie alle durchmachen – und das wiederum fand ich auch authentisch. Sie passen zunehmend aufeinander auf, lassen sich auf Beziehungen ein und können andere so akzeptieren, wie sie sind. 

Im letzten Drittel kommt dann richtig Schwung in die Geschichte – denn die Revolution zeiht große Kreise mit durchaus medialer Aufmerksamkeit. Das Ende ist dann sehr emotional und bietet einem plausiblen Abschluss für diese besondere Geschichte. 

Obwohl ich die Sprache mochte, die mit schönen Bildern arbeitet, dabei aber dennoch gut lesbar ist, wirkt sie an manchen Stellen dann doch etwas schwülstig – und so werden auch die Botschaften, die durchaus treffend sind und mich auch oft haben innehalten und nachdenken lassen, leider etwas verbraucht, weil sie zu pathetisch vorgetragen sind und die Geschichte insgesamt einen zunehmend unglaubwürdigen Verlauf nimmt. 

Trotzdem mochte ich das Buch insgesamt gerne, weil es nachdenklich macht und den Finger in diverse Wunden legt – der besonderen Sprache sollte man sich aber bewusst sein.  

Mein Fazit
Ein blinder Lehrer, der durch eine ungewöhnliche Lernmethode Aufsehen erregt und bei seinen Schülern eine Art Revolution gegen das Schulsystem in Gang bringt. Die Botschaften sind gut und vieles macht nachdenklich, insgesamt ist die Entwicklung aber eher unglaubwürdig. Trotzdem ein lesenswertes Buch mit vielen aktuellen und guten Aspekten, über die sich ein Nachdenken lohnt.

WERBUNG: Vielen Dank an den btb-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

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