6. November 2023

[Rezension] Ulla Hahn - "Das verborgene Wort"

Ulla Hahn - Das verborgene Wort (Hilla Palm #1)
Gegenwartsliteratur
 

Verlag: dtv
ISBN-13: 978-3-423-13089-9
Seiten: 624 Seiten
Erschienen: 1.6.2003
Ersterscheinung: 2001
Umschlaggestaltung: Stephanie Weischer unter Verwendung einer Fotografie von gettyimages /Deborah Raven

   
Zum Inhalt
„Die junge Hilla Palm ist voller Neugier und Lebenswille. Doch sie sieht sich in den Lebensgewohnheiten einer katholischen Arbeiterfamilie in einer rheinischen Dorfgemeinde gefangen und stößt an die Grenzen einer Welt, in der Sprache und Phantasie nichts gelten. Fast zerbricht sie an der Verständnislosigkeit der Eltern, die sie in den eigenen Anschauungen festhalten wollen. Im Deutschland der Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre sucht das Mädchen seinen Weg in die Freiheit: die Freiheit des verborgenen Worts.“ (Quelle: Penguin-Verlag)

Meine Meinung
Das Buch steht schon sehr lange ungelesen bei mir im Schrank, und wieder ist es so, dass ich mich darüber ärgere, denn es hat mich sehr begeistert und musste daher viel zu lange warten, endlich gelesen zu werden.

Hille Palm wächst im Nachkriegsdeutschland in Dondorf, nahe Köln auf. Ihre Eltern sind „einfache“ Menschen, Arbeiter, die sich auf Platt unterhalten und sich wenig Gedanken machen – alles wird so angenommen, wie es immer schon war, kaum etwas wird hinterfragt. Hilla ist anders, sie ist neugierige und fragt eine ganz Menge, sie hat ein Buch mit schönen Wörtern und Sätzen und spricht – anders als ihre Familie – Hochdeutsch. Damit eckt sie an und muss sich ihren Weg erkämpfen.

Es passiert nicht viel in dieser Geschichte, und trotzdem war ich von Anfang an gefesselt. Und mir ist bewusst, dass dieses Buch nicht für jeden etwas ist – ich glaube, man muss schon ein bisschen Bezug zum Rheinland haben, um sich Hillas Geschichte zu erlesen, denn viele Dialoge sind in Dialekt geschrieben, was ich großartig fand, weil es mir ein Lebensgefühl und eine ganz eigene Atmosphäre vermittelt hat, was aber auch anstrengend war zu lesen, weil ich mir diese Sätze selber vorlesen musste. 
„Nä, widersprach die Tante. Esch wes nit mi, wat für ene Film dä gemeent hät, ävver he hät jesät, die Filme us dänne ihre Kammer wöre Schweinefoder. Do han se en affjeholt.“ (Seite 98)
Ich hatte viele Bilder im Kopf, nicht weil es langatmige Beschreibungen gibt, sondern weil die Autorin verstanden hat, ihre Figuren durch ihr Tun und Reden zum Leben zu erwecken. Ich bin wirklich eingetaucht in die Geschichte und habe das Buch zwar langsam, aber mit viel Freude gelesen und war neugierig, welchen Weg Hilla gehen wird. 

Zu Beginn ist sie neun Jahre alt und ihr Weg scheint vorgezeichnet – am Ende dieses Bandes ist sie Anfang zwanzig und wird – entgegen aller Stimmen – auf ein Gymnasium gehen. Man begleitet Hilla im Kindergarten, in der Volksschule, beim Arbeiten am Band und auch bei den ersten Liebschaften – also ein ganz „gewöhnliches“ Aufwachsen im Nachkriegsdeutschland.

Die Sprache ist sehr eindringlich – die Abschnitte auf Platt waren für die Atmosphäre unabdingbar, aber auch fernab dieser Passagen bedient sich die Autorin eines ganz besonderen Stils. Er ist ruhig und “unspektakulär“, mit vielen Adjektiven, sehr direkt und klar und ohne Schnörkel oder blumige Ausschweifungen. Es ist nicht immer leicht zu lesen, vielleicht auch, weil wenig Konkretes passiert, ich aber bin gerne eingetaucht in diese Geschichte.

Hilla ist ein besonderes Mädchen – sie passt nicht so recht in ihre Familie, geht mit offenen Augen durch die Welt, sagt auch ihre Meinung, was aber nicht gewünscht ist; und so eckt sie auch häufiger an und muss sich immer wieder behaupten. Und trotz vieler mühsamer und demütigenden Situationen gibt sie nicht auf und setzt sich durch. 

Ihren Großvater mochte ich auch, er scheint der Einzige in der Familie, der weiß, mit Hillas Neugier umzugehen, indem er tolle Geschichten erfindet und sie ihr erzählt – daraus resultieren dann Erinnerungen, die Hilla auch ihr weiteres Leben nicht vergisst; einfach schön.

Bei Hillas Vater könnte man meinen, er ist ein Griesgram; ich glaube aber eher, dass er in seinem Leben feststeckt und kein Interesse hat, Dinge zu hinterfragen oder sie gar zu ändern. Für ihn muss alles in der ewig gleichen Routine ablaufen, ein Abweichen ist für ihn kaum möglich und Prügel die einzige Methode, seinen Willen durchzusetzen – dass er und seine Tochter Hilla, die ja vieles hinterfragt, ein schwieriges Verhältnis haben, kann man sich vorstellen. Hillas Mutter versteckt sich gerne hinter ihrem Ehemann und schiebt ihn vor, wenn Hilla wieder etwas gemacht hat, was nicht im Sinne der Eltern war: „Waat, bes dä Papp no Huus kütt“.  

Dies ist der erste Band einer vierteiligen Reihe und ich möchte unbedingt weiterlesen – wer sich für dieses Buch interessiert, sollte unbedingt in eine Leseprobe reinlesen, denn die Sprache ist schon besonders, und sicher kann damit nicht jeder etwas anfangen. 

Mein Fazit
Sicher nicht für jeden geeignet, mich aber hat die Geschichte sehr begeistert – vor allem die Atmosphäre des Nachkriegsdeutschlands hat mich völlig eingenommen, dazu das Lokalkolorit durch den hiesigen Dialekt, der gesprochen wird. Ich fand dieses Buch großartig und bin gespannt auf die folgenden Bände.

Hilla Palm
1. Das verborgene Wort
2. Aufbruch
3. Spiel der Zeit
4. Wir werden erwartet


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