21. November 2023

[Rezension] Charles Lewinsky - "Gerron"

Charles Lewinsky - Gerron
Gegenwartsliteratur
 

 ISBN-13: 978-3-312-00478-2
 Seiten: 543 Seiten
 Ersterscheinung: 29.11.2011
 Umschlaggestaltung: David Hauptmann, HAUPTMANN & KOMPANIE, Werbeagentur Zürich, unter Verwendung von Fotos von ©Corbis /Caroline Arber und plainpicture /Tanja Luther

   
Buchrückentext
„Es war einmal ein Star und ist jetzt nur noch ein Häftling unter Tausenden. Und er soll ein letztes Mal seine Fähigkeiten beweisen. Das verlangt von ihm eine folgenschwere Entscheidung: Entweder er handelt gegen sein Gewissen und rettet dafür womöglich sein Leben und das seiner geliebten Frau. Oder er bleibt standhaft und riskiert alles, was ihm noch geblieben ist.“ 

Meine Meinung
Ich habe das Buch in einem Bücherschrank entdeckt – und irgendwie hat mich das Cover angesprochen; jetzt endlich habe ich das Buch gelesen und bin begeistert – obwohl die Geschichte eine bedrückende ist.

Charles Lewinsky erzählt das Leben von Kurt Gerron, den es tatsächlich gegeben hat und der sich als Regisseur einen Namen gemacht hat. Er ist Jude und landet in Theresienstadt, dort wird er von dem Obersturmführer Rahm beauftragt wird, einen Propagandafilm über das Ghetto zu drehen. Gerron erbittet sich Bedenkzeit und reflektiert in diesen drei Tagen sein eigenes Leben. 

Mich hat das Buch sehr beeindruckt – Ich kannte Kurt Gerron nicht, habe aber nach und auch schon während der Lektüre viel zu ihm recherchiert und konnte mich durch den Erzählstil gut in ihn hineinfühlen. Aus heutiger Sicht sagt man natürlich – wieso musste er erst nachdenken, diesen Film zu drehen, lernt man Gerron aber näher kennen, und das tut man, weil er sein Leben reflektiert und erzählt, dann versteht man seine Bedenken. Nicht nur, dass er mit diesem Propagandafilm gegen seine Überzeugung handeln würde, nein, ihm ist auch klar, dass der Dreh eben kein Garant ist, nicht doch noch nach Auschwitz deportiert zu werden. 

Es gibt viele Eindrücke in die Vorkriegszeit, er erzählt vom Notabitur, seinen Erfahrungen im ersten Weltkrieg, seinem Beginn des Medizinstudiums und schließlich von seiner Zeit als Regisseur. Es ist ein tragisches Leben, und der Autor hat hier geschickt sein gut recherchiertes Hintergrundwissen des jüdischen Regisseurs eingebunden in eine fiktive Gedankenwelt. 

Denn Gerron erzählt selber – und sein Erzählton ist eindrücklich, brutal, ehrlich, voller Ironie und Sarkasmus und dann auch wieder liebevoll und  berührend. Er springt in seinem Erzählen hin und her zwischen Vergangenheit und Gegenwart – von seiner Kindheit an über die Pubertät, seine Studentenzeit, seinem Medizin-Studium und seinen ersten Kriegserfahrungen. Und auch von seiner großen Liebe Olga, die er schließlich auch heiratet und mit der er zusammen nach Theresienstadt kommt. Dann gibt es immer auch wieder Einblicke in das Leben in Theresienstadt, und diese Teile sind immer sehr brutal in ihrer Wahrheit, sicher auch durch die sarkastische Art, das zu beschreiben. 

Man lernt die damalige Schauspielwelt kennen, die Entwicklung vom Stumm- zum Tonfilm, aber auch die verzweifelte Flucht in verschiedene Exile, um dann letztlich doch im Ghetto zu landen. Und Gerron erzählt dann auch, wie er das Drehbuch schreibt, den Film dreht, den er selber dann aber nicht – wie eigentlich geplant – schneidet. Ich denke, man ahnt, warum er das nicht mehr gemacht hat. Den Film kann man in Teilen heute noch als Video anschauen – mit dem Wissen aus diesem Roman ein schreckliches Zeitdokument. 

In jeder Zeile spürt man den Konflikt, in dem Gerron sich sieht und dem er sich in vielen gedanklichen Monologen hingibt. Er sieht sich zwischen Verweigerung und Verrat, kämpft mit seinem eigenen Gewissen, und dieser Kampf hat mich sehr betroffen gemacht. Er kämpft mit sich und seiner Ehrlichkeit, hoffend, dass er durch den Dreh Menschen vor dem sicheren Tod retten wird; und gleichzeitig genau diese Angst zu spüren, „auf Transport gehen“ zu müssen. In Theresienstadt ist jeder nur noch eine Nummer, Gerron aber hat den Menschen wieder ein Gesicht gegeben. 

Ein bewegender Roman über ein grausames Kapitel deutscher Geschichte, der von mir auf jeden Fall eine Empfehlung erhält!

Mein Fazit
Eine Romanbiographie über Kurt Gerron, ein jüdischer Regisseur, der in Theresienstadt interniert einen Propagandafilm zum Lager drehen soll – er ringt mit sich und der Entscheidung und beleuchtet so mit ehrlichen, brutalen und oft sarkastischen Worten sein Leben. Ich empfehle das Buch uneingeschränkt!

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