14. März 2022

[Rezension] Delphine de Vigan – "Die Kinder sind Könige"

Delphine de Vigan – Die Kinder sind Könige
Gegenwartsliteratur
 

Originaltitel: „‎ Les enfants sont rois“ (französische Ersterscheinung: 1.3.2021)
Übersetzerin: Doris Heinemann
ISBN-13: 978-3-8321-8188-8
Seiten: 320 Seiten
Deutsche Ersterscheinung: 14.3.2022
Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Umschlagabbildung: plainpicture/Pupa Neumann

Begleitbroschüre zum Thema vom Verlag hier

   
Zum Inhalt
„Mélanie war als junges Mädchen ein großer Fan von Formaten wie ›Big Brother‹. Sie hatte stets davon geträumt, gesehen und berühmt zu werden. Jahre später, als Mutter zweier Kinder, ist es ihr gelungen: Sie ist eine erfolgreiche Youtuberin mit Tausenden von Followern. Objekt ihrer Videos und Posts sind ihre Kinder, die auf Schritt und Tritt gefilmt werden. Seit Kurzem kommt ihre kleine Tochter dem Filmen jedoch immer unwilliger nach. Mélanie tut das als eine Laune ab. Denn wie könnte man die unendliche Liebe, die ihnen aus dem Netz entgegenkommt, als Last empfinden? Kurz darauf verschwindet Kimmy nach einem Versteckspiel spurlos. Wie, fragt sich die ermittelnde Polizeibeamtin Clara, soll man einen Verdächtigen ausmachen bei einem Kind, das Tausende Menschen kennen und mehrfach täglich sehen? Schnell begreift sie, dass ihre Methoden der Ermittlung in der virtuellen Welt vollkommen nutzlos sind …“ (Quelle: Verlagsseite)

Meine Meinung
Delphine de Vigan gehört zu den Autorinnen, zu deren neuen Werken ich greife, ohne auf den Klappentext zu schauen. Daher war ich überrascht über diesen Plot, aber auch von Anfang an gefesselt.

Mélanie ist Familienbloggerin, wobei sie ihre Kinder Kimmy und Sammy in den Mittelpunkt rückt – mit Challenges, Unboxings oder einfachen Vlogs filmt sie sich und ihre Kinder in die Herzen der Follower. Bis eines Tages Kimmy spurlos verschwindet – und so ein Riss in der heilen YouTube-Familien-Welt entsteht.

Das Thema ist großartig und gerade sehr aktuell. Entstanden ist ein wichtiges Buch, das zunächst wie ein Krimi erscheint, dann aber einen Blick in die Zukunft wagt mit möglichen Auswirkungen einer ständigen Online-Präsenz von Kindern und Jugendlichen. Im Wesentlichen verfolgt man zwei Hauptfiguren – zum einen Mutter Mélanie, die schon als Kind eine Faszination für Serien wie „Big Brother“ hatte, und die ihre Bedürfnisse nun über einen eigenen YouTube Kanal befriedigt. Sie ist sich keiner Schuld bewusst und ist der festen Überzeugung, dass ihre Kinder Spaß haben beim Filmen und an der sich immer weiter von der Realität entfernenden Glitzerwelt, in der sie leben und die durch Sponsoring diverser Unternehmen entsteht. Mélanie ist nicht unbedingt ein Sympathieträger, dennoch hat sie bei mir ein gewisses Mitleid ausgelöst, dass sie sich so abhängig macht von anderen, deren Zuspruch und Liebe, und so gefangen ist in einer Parallelwelt, die zwar Geld, aber keine wahre Gefühle wie Freundschaft oder Liebe bringt. Ganz anders ist Clara, die ermittelnde Polizeibeamtin. Auch sie hat ein Päckchen zu tragen, von dem man im Verlauf der Geschichte erfährt, ihre Berufung aber liegt bei der Polizei, wo sie Möglichkeit hat, sich minutiös um Fälle zu kümmern, und speziell jetzt um das Verschwinden Kimmies. Sie taucht ein in diese ihr ganz unbekannte Welt der Influencer und entdeckt Wahrheiten, die sie niemals gedacht hätte, dass es sie gibt. 

Den größten Teil des Buches geht es tatsächlich um Kimmies Verschwinden und die Suche nach ihr – dabei wechseln die Perspektiven zwischen Mélanie und Clara, eingestreut aber gibt es immer wieder auch Protokolle von Zeugenaussagen. Dadurch ist die Atmosphäre im Buch eher kühl. Auch der Schreibstil ist klar und präzise, ohne Schnörkel oder blumige Metaphern, so dass an mancher Stelle eher der Eindruck eines Berichtes entsteht – richtig emotional wird es nicht, und tatsächlich habe ich auch keine Figur richtig fühlen können. Im letzten Drittel gibt es einen Bruch in der Geschichte: der Leser wird in das Jahr 2031 entführt und bekommt Eindrücke in das jetzige Leben der ehemaligen Kinderstars. Dieser Teil ist natürlich spekulativ, während die ersten beiden Drittel sehr realistisch dargestellt sind und bei denen man merkt, dass die Autorin gut recherchiert hat. Aber auch dieser Blick in die Zukunft hat mir sehr gut gefallen, denn er bietet eine Sicht, was mit den Betroffenen geschehen kann. 

Besser gefallen hätte mir aber, wenn der Stoff des letzten Drittels mehr Raum bekommen hätte – so wirkte dieser Teil ein wenig „angepappt“, dabei ist er mindestens so interessant wie der erste Part. Bis dahin hätte ich dem Buch auch 5 Sterne gegeben, das letzte Drittel aber hat mich irgendwie rausgebracht – so interessant es auch war, mir war es zu schnell abgehandelt.

Dennoch empfehle ich dieses wichtige Buch gerne weiter und gebe 4 von 5 Sternen.

Mein Fazit
Ein wichtiges Buch mit einem aktuellen Thema – die Autorin hat sich dem Problem der Familienblogger und Kinder-Influencer angenommen und eine interessante Geschichte gestrickt. Ich habe sie sehr gerne gelesen, fühlte mich mit mancher Meinung bestätigt, an anderen Punkten war ich schockiert und irritiert. Auch wenn es für mich im letzten Drittel einen Bruch in der Geschichte gab, empfehle ich es gerne weiter und gebe 4 von 5 Sternen. 

WERBUNG: Vielen Dank an Netgalley und den Dumont-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

2 Kommentare:

  1. Liebe Sabine,
    das Thema dieses Romans ist ja in der Tat sehr aktuell. Danke für deine ausführliche Vorstellung, du hast mein Interesse geweckt, und ich werde mir dieses Buch gleich mal ganz dick vormerken.
    Liebe Grüße
    Susanne

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    1. Liebe Susanne,

      das freut mich, dass ich dich neugierig machen konnte!

      LG Sabine

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