Juli Zeh - Über Menschen
Gegenwartsliteratur
Verlag: Der Hörverlag
ISBN-13: 978-3-844-54123-6
Dauer: ungekürzt, 611 Minuten
Erschienen: 21. April 2021
Sprecher: Anna Schudt
Zum Inhalt
„Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.“ (Quelle: Verlagsseite)
Meine Meinung
Juli Zeh ist für mich immer ein Überraschungspaket – manches von ihr mag ich, anderes aber auch nicht. Hier hat mich der Plot sehr angesprochen, und ich war neugierig, wie die Autorin zum einen das Thema Corona-Pandemie umsetzt, zum anderes das heikle Thema Antisemitismus. Und sie hat mich nicht enttäuscht, sondern positiv überrascht – so ernst die Themen sind, ist die Geschichte trotzdem unterhaltsam, regt zum Nachdenken an und hat mich auch emotional berührt.
Dora zieht mit ihrer Hündin Jochen aufs Land, weg von Berlin, wo sie sich zunehmend eingeengt fühlt, nicht nur von Corona, sondern auch von ihrem Freund. Doch Bracken ist kein idyllisches Dörfchen – das merkt sie rasch, als sie ihren Nachbarn kennenlernt, der sich als Dorf-Nazi Gote vorstellt. Obwohl sie das so gar nicht akzeptieren kann, entwickelt sich zwischen den beiden eine Art Freundschaft – und daran ist auch sein kleine Tochter Franzi nicht ganz unschuldig.
Ich mochte schon den Einstieg in die Geschichte, in dem Dora über das Leben, die Pandemie, ihre „Flucht“ und vieles andere nachdenkt. Man erfährt ihre Hintergründe, warum sie sich entschlossen hat, ein Haus in Bracken zu kaufen, aber auch ihre Eindrücke vom Beginn der Corona-Pandemie – und ich gestehe, dass ich Angst hatte, darüber zu lesen, weil das Thema ja immer noch aktuell ist. Aber die Autorin hat da für mich genau den richtigen Ton getroffen – dieses „sich erinnern“, wie es anfing, wie die Situation zu Hause war, wie die erste Versuche starteten, den Mund-Nase-Schutz zu etablieren. Es hat sich für mich angefühlt wie sich erinnern, dieser „Ach ja“-Effekt, dieses „ja stimmt, so war das“. Sie hat es damit auch nicht übertrieben, sondern es geschickt mit der eigenen Geschichte um ihren Freund Robert verbunden und die daraus entstandenen Probleme in ihrer Beziehung. Auch das Thema Rassismus bzw. Antisemitismus geht sie auf eine interessante Art und Weise an – ihr Nachbar Gote bekennt sich beim Vorstellen als Dorf-Nazi und natürlich ist das ein Problem für Dora. Er hat Schreckliches getan, er weiß das und entschuldigt sich auch nicht. Und trotzdem hat auch Gote ein gutes Herz, das immer mal wieder durchblickt – oft ist er aber auch einfach nur doof und eben gar nicht liebenswert. Juli Zeh entschuldigt in keinster Weise Gotes Verhalten, zeigt Gote aber auch von anderen Seiten.
Die Freundschaft, die sich zwischen beiden anbahnt, ist keine klassische im Sinne von „zusammen Pferde stehlen“ und sich gut verstehen – sie entsteht eher aus der Not heraus und zeigt sich in vielen kleinen Zwischentönen. Natürlich gibt es in der Dorfgemeinschaft Bracken nicht nur die beiden, und auch bei den anderen Dorfbewohnern hat die Autorin nicht zu den typischen Stereotypen gegriffen – und auch hier gilt: Oberflächlich betrachtet ist es keine Gemeinschaft, aber zwischen den Zeilen sind sie doch füreinander da, aber es sind tatsächlich nur sehr leise Töne.
Die Geschichte nimmt dann eine Wendung, die das Thema Corona völlig vergessen lässt und bei dem es dann immer mehr um zwischenmenschliche Dinge geht. Ich mochte das, denn so wurde ich auch emotional noch einmal anders mitgerissen, und es ist ein ganz eigener Sog in der Geschichte entstanden.
Den Schreibstil fand ich streckenweise wirklich gut, an vielen Stellen aber auch einfach und schlicht – so kann man der Geschichte zwar gut folgen, ich hatte aber das Gefühl, dass in diesen Abschnitten auch die Tiefe verloren gegangen ist. Gerade aber am Anfang mochte ich die klare und präzise Sprache, die ohne Schnörkel auskommt und die Dinge auf den Punkt bringt. Ich mochte die zum Teil herrschende Ironie und vor allem auch Innenansichten Doras, die zwar unbequem, aber vor allem ehrlich waren. Im letzten Drittel überwiegt dann das Geschehen rund um Dora und Gote, es gibt viele Dialoge und dadurch ist es nicht mehr so tiefsinnig. Aber – das ist Jammern auf hohem Niveau, denn ich wurde gut unterhalten, habe aber auch viel nachdenken müssen und insgesamt das Hörbuch sehr genossen. Mir bislang unbekannt war die Sprecherin Anna Schudt, deren Stimmfarbe wunderbar zu Dora gepasst hat. Sie hat eine eher dunklere Stimme, aber klar, nicht rauchig und sie hat die Geschichte großartig vorgetragen.
Ich empfehle dieses Hörbuch gerne weiter und gebe 5 von 5 Sternen.
Mein Fazit
Juli Zeh hat den Spagat geschafft, ernste Themen wie Corona-Pandemie und Antisemitismus unterhaltsam darzustellen. Geht es am Anfang vor allem um die Gedanken der Protagonistin Dora, steht im Weiteren dann die ungewöhnliche Freundschaft zwischen ihr und dem Dorf-Nazi im Vordergrund. Mich hat das Buch unterhalten, aber auch nachdenklich gemacht – ich gebe 5 von 5 Sternen.
WERBUNG: Vielen Dank an den Hörverlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
Liebe Sabine,
AntwortenLöschendas Buch wartet schon in meiner Bücherei auf mich. Morgen kann ich es bei click & collect abholen und nun freue ich mich umso mehr darauf!
Liebe Grüße
Martina
Viel Spaß!
LöschenIch bin gespannt, wie es dir gefallen wird, liebe Martina!
LG Sabine